Sprach man im Vorfeld einer WM oder EM von «Turniermannschaft», dachte der geneigte Fussball-Fan recht schnell an Deutschland. Ob man sich wie 2002 bis in den Final mogelte oder sich 2006 bei der begeisternden Heim-WM trotz ausbleibendem Titel ein «Sommermärchen» erfüllte. Und natürlich – der durchschlagende Triumph 2014 in Brasilien, bei dem man dem Gastgeber im Halbfinal beim «Sete a um» die vielleicht bitterste Lektion seiner jüngeren Fussballgeschichte erteilte.
Dieser Nimbus ist nun endgültig passé. Schon 2018 in Russland war man nach deutschen Massstäben blamabel gescheitert: Gruppenletzter in einem Pool mit Schweden, Mexiko und Südkorea. An der kontinentalen EM im Vorjahr beendete ein recht blutleerer Auftritt im Achtelfinal gegen England die Reise. Und nun in Katar wieder keine K.o.-Phase.
Mir macht es Spass, wir haben gute Spieler, die nachkommen, an mir wird's nicht liegen.
Wurzel allen Übels war das unnötige 1:2 gegen Japan nach deutscher Führung im ersten Spiel. Die Fortsetzung des Ostasien-Traumas nach dem 0:2 2018 gegen Südkorea. Das sah auch Bundestrainer Hansi Flick so: «Es war in den 20 Minuten gegen Japan. Auch haben wir es in den Schlussminuten gegen Spanien verpasst, ein weiteres Tor zu schiessen.» Er erklärte, seine Tätigkeit fortsetzen zu wollen. «Mir macht es Spass, wir haben gute Spieler, die nachkommen, an mir wird's nicht liegen.»
Falls dies mein letztes Spiel gewesen sein sollte: Wir haben unglaubliche Momente miteinander erlebt.
Nebengeräusche wie der Streit um die One-Love-Binde brachten wohl mehr Ablenkung als gedacht. Ein Umbruch scheint mehr denn je notwendig. Einen ersten Schritt in diese Richtung deutete Thomas Müller an, dessen Rede im Interview nach dem Spiel schwer nach Abschied klang: «Für mich ist das eine absolute Katastrophe», sagte der Weltmeister von 2014 und ergänzte: «Falls dies mein letztes Spiel für Deutschland gewesen sein sollte: Wir haben unglaubliche Momente miteinander erlebt. Ich habe alles mit Liebe getan, da könnt ihr euch sicher sein. Vielen Dank.»
Defensive zu anfällig, Offensive nicht zwingend
Die Baustellen sind offensichtlich: Da ist einerseits die löchrige Defensive. Die Szene, in der sich Nico Schlotterbeck auf der linken Abwehrseite im Japan-Spiel vor dem 1:2 abkochen lässt, wird noch lange in den deutschen Erinnerungen nachhallen. Manuel Neuer mag nach wie vor ein guter Torhüter sein, doch «Unhaltbare» vermag er nicht mehr wie zu besten Zeiten zu bändigen. Bei den Gegentoren, die er gegen Japan und Costa Rica kassierte, wirkte er nicht eben sattelfest.
In der Offensive geniesst Deutschland eine unheimliche Breite mit immensem Potenzial und viel Tempo – Jamal Musiala dürfte die Zukunft gehören. Hingegen hat man es beim DFB versäumt, einen klassischen Knipser als Ersatz für den verletzten Timo Werner aufzubauen. DFB-Direktor Oliver Bierhoff meinte wenig optimistisch: «Wenn du einen guten Stürmer haben willst, fängst du die Ausbildung nicht mit 18 Jahren an, sondern mit 10 oder 12. Das sind Fehler, die wir vor 10 oder 14 Jahren gemacht haben. Und das werden wir in den kommenden Jahren immer wieder zu spüren bekommen.» Lichtblick ist in dieser Hinsicht Niclas Füllkrug. Wieso diesem jeweils nur die Joker-Rolle blieb, wird vom Trainerteam zu hinterfragen sein.