Einerseits: die Vorrunde als Sieger der Hammergruppe überstanden. Andererseits: kaum wirklich geglänzt, selten mehr gearbeitet als nötig, und vor allem: erst 4 Tore erzielt. Die Franzosen erleben derzeit polyvalente Gefühle gegenüber ihrem Nationalteam.
Dass das Sturmtrio Karim Benzema, Antoine Griezmann und Kylian Mbappé – Marktwert: zusammen 245 Millionen Euro – nicht mehr als ein Törchen gegen Ungarn zustande brachte, nahmen die Fans fast schon persönlich.
Benzema: Plötzlich (wieder) geliebt
Kaum einer kennt diese emotionale Polyvalenz so wie Benzema. Seit der 33-Jährige im letzten Gruppenspiel gegen Portugal (2:2) einen Doppelpack schnürte, fliegen ihm in der Heimat die Herzen zu.
Dabei deutete bis unmittelbar vor der EM nichts auf eine Rückkehr Benzemas hin. Nach einem Erpressungsskandal hatte Trainer Didier Deschamps Ende 2015 betont, unter ihm werde der Real-Stürmer nie wieder zum Einsatz kommen. Spätestens als Benzema vor der Heim-EM 2016 Rassismus-Vorwürfe gegenüber Deschamps erhob, schien das Tischtuch endgültig zerschnitten zu sein.
Benzema rechtfertigte die überraschende Nomination. Nicht nur mit seinen beiden Toren, sondern auch mit Laufarbeit und Engagement. Muss er auch, denn ohne ihn wurde Frankreich 2018 Weltmeister.
Dem «verlorenen Sohn» kommt in der Beurteilung zugute, dass Griezmann erst einen, Mbappé noch gar keinen Treffer auf dem Konto hat. Wenngleich der designierte Superstar dieser EURO immer wieder seine Genialität aufblitzen liess: Auf dem Papier steht weiter die Null.
«Die drei Musketiere»: Porthos und Aramis stechen noch zu wenig
Die französischen Medien bezeichneten das namhafte Trio vor der EM gerne als «die drei Musketiere». In diesem Sinne wäre Benzema Athos, der älteste des Triumvirats. Doch noch scheint der Rückkehrer nicht ideal mit Griezmann und Mbappé (oder eben Porthos und Aramis) zu harmonieren.
Böse Zungen liessen sich im Vorfeld der EURO zu einem Vergleich mit 2002 hinreissen: Damals schied die «Equipe Tricolore» in der Vorrunde ohne einen Torerfolg aus. Dies, obwohl man mit Thierry Henry, David Trezeguet und Djibril Cissé die Torschützenkönige aus Premier League, Serie A und Ligue 1 in den eigenen Reihen wusste.
D'Artagnan und der offene Wasserhahn
Davon ist Frankreich 19 Jahre später jedoch weit entfernt. Zumal man bei 3 Aluminium-Treffern und zwei vom VAR enttarnten Abseitstoren auch ziemliches Pech bekundete. Ist es für die Schweiz vielleicht gar ein Nachteil, dass Mbappé an dieser EM noch nicht getroffen hat? Oder in den Worten von Griezmann: «Wenn der Wasserhahn erst einmal offen ist, wird es fliessen.»
So oder so, um bei der Anspielung auf das Werk von Alexandre Dumas zu bleiben: Athos' Rückkehr macht die Musketiere fraglos noch gefährlicher. Und wenn nicht, dann wäre da ja auch noch D'Artagnan. Und für diese Rolle wären etwa mit Paul Pogba oder N'Golo Kanté mehr als valable Kandidaten vorhanden.