Wenn am 14. Juni die EURO in Deutschland beginnt, schaut ganz Europa hin – und damit auch auf Schottland. Den «Bravehearts» kommt die Ehre wie bereits an der WM 1998 zuteil, das Eröffnungsspiel zu bestreiten. Damals gab es ein 1:2 gegen Weltmeister Brasilien. Ein Highlight für alle Schotten war es dennoch, wie Times -Journalist Michael Grant erklärt: «Es war das erste Mal, dass wir dachten, die ganze Welt schaut auf uns.»
Das lange Warten – und dann kommt Corona
Doch die Partie gegen den Gastgeber ist in diesem Sommer nur «die Kirsche auf der Torte», denn auch sonst ist der Fussball-Hype in Schottland derzeit gross. Einerseits habe sich die Nationalmannschaft direkt und nicht über die Playoffs qualifizieren müssen, andererseits findet die Endrunde vor Fans statt.
Andy Robertson und Kieran Tierney sind Weltklasse. Trainer Steve Clarke hat es geschafft, ein System zu finden, in dem beide spielen können, obwohl sie Linksverteidiger sind
Für die «Tartan Army», wie die leidenschaftlichen schottischen Fans genannt werden, keine Selbstverständlichkeit. Nach der WM 1998 mussten sie sich schliesslich bis zur EM 2020 gedulden, um ihr Team wieder an einer Endrunde sehen zu können; und dann machte ihnen Corona mit zahlreichen Beschränkungen einen Strich durch die Rechnung.
«Niemand weiss genau, wie viele Schotten nach Deutschland reisen werden, aber es werden sicher 60'000 oder 70'000 sein», schwärmt Grant. Zwar gingen nur je 10'000 Tickets pro Spiel an die jeweiligen Verbände – und doch erwartet der langjährige Journalist eine schottische Übermacht im Stadion, denn «gäbe es eine WM im Ticket-Auftreiben, Schottland würde gewinnen».
Auf den Seiten Spitzenklasse
Zu sehen bekommen werden sie eine einsatzfreudige, kämpferisch starke Mannschaft, die mit einzelnen Top-Spielern bestückt ist. Besonders stark ist Schottland auf den offensiven Aussenverteidigerpositionen im 3-4-2-1-System besetzt. Vor oder neben den 3 Innenverteidigern konkurrieren rechts die Talente Aaron Hickey (Brentford) und Nathan Patterson (Everton).
Besonders auf der Gegenseite geht aber die Post ab: «Andrew Robertson und Kieran Tierney sind Weltklasse. Trainer Steve Clarke hat es geschafft, ein System zu finden, in dem beide spielen können, obwohl sie Linksverteidiger sind», erklärt Grant. So laufe Liverpools Robertson in der Nationalmannschaft oft im Mittelfeld vor Tierney, derzeit von Arsenal an San Sebastian ausgeliehen, auf.
Das Mittelfeld schiesst die Tore
Und auch das offensive Duo hinter der alleinigen Spitze hebt Grant hervor: Aston-Villa-Rackerer John McGinn und ManUnited-Allrounder Scott McTominay sind bei den «Bravehearts» für die Tore zuständig. McGinn, derzeit noch bei 18 Länderspieltreffern, wird gar zugetraut, dereinst die Rekordtorschützen und Legenden Denis Law und Kenny Dalglish (30 Tore) abzulösen.
Und McTominay war in der EURO-Qualifikation mit 7 Toren treffsicherster Spieler. Dafür sieht Grant im Sturm sowohl bei Lyndon Dykes, Che Adams oder Lawrence Shankland noch Luft nach oben. Und: In der Breite sind die Schotten eher schwach besetzt, das Aufgebot wird sich fast von alleine ergeben.
Wegen Schottland hat Haaland Ferien
In der EM-Qualifikation schafften die Schotten in der Gruppe A hinter Spanien und vor Norwegen, Georgien und Zypern den Sprung an die EURO. Sie gewannen dabei die ersten 5 Partien – unter anderem zuhause gegen «La Roja» – und sorgten so früh dafür, dass ManCity-Torjäger Erling Haaland weiter auf sein erstes grosses Turnier warten muss.
Trainiert wird das Ensemble von Clarke, einem unscheinbaren aber smarten Trainer, dessen Stärke vor allem auf dem Trainingsplatz liege. Er habe früher als Co-Trainer unter Jose Mourinho oder Ruud Gullit gelernt und es als Nationaltrainer schnell geschafft, die Spieler hinter sich zu bringen. So ist das Team unter dem 60-Jährigen zu einer schwierig zu schlagenden Einheit geworden.
Zeit für die Premiere?
Zwar wartet man aktuell seit 6 Spielen auf einen Sieg, die Gegner England, Spanien, Frankreich und die Niederlande hatten es allerdings in sich. So sieht Grant für sein Land gute Chancen, in Deutschland erstmals überhaupt in die K.o.-Runde einer WM oder EM einzuziehen – auch wenn der Heimvorteil aus dem lauten Hampden Park fehlen wird. Am 19. Juni werden in Köln gegen die Schweizer Nati aber wohl trotzdem die Schotten die Oberhand haben; zumindest auf der Tribüne.