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EM-Gegner unter der Lupe «Ungarn ist kein Team, sondern eine Familie»

Weniger als 3 Monate sind es noch bis zur EM. Zeit, die Schweizer Gruppengegner zu beleuchten: Ungarn macht den Anfang.

Vor 70, 80 Jahren gehörte Ungarn zu den stärksten Fussball-Ländern. Zweimal scheiterte es an einer WM erst im Final (1938, 1954), dreimal holte es Olympia-Gold (1952, 1964, 1968). Von den «magischen Magyaren» oder dem «Goldenen Team» war damals die Rede. Die Namen Ferenc Puskas, Nandor Hidegkuti und Sandor Kocsis klingen noch heute legendär.

Doch seitdem ist vieles passiert. Während das Land im Kommunismus darbte, krankte auch der Fussball und kam nur langsam wieder auf die Beine. Seit der WM-Endrunde 1986 in Mexiko musste sich Ungarn bis zur EM in Frankreich 30 Jahre lang gedulden und Wasserball, Schwimmen oder den Fechtern den Vortritt lassen. Der Trend im Fussball ist zuletzt jedoch positiv: In Deutschland bestreitet man heuer die 3. EURO in Folge.

Wiederaufschwung unter Rossi

Den Schlüssel zu dieser neuen Stärke verortet David Szekely, der Programmdirektor des ungarischen TV-Senders M4 Sport , an zwei Orten: dem Trainer und der mannschaftlichen Geschlossenheit. «Marco Rossi ist ein Genie», schwärmt er. «Ich bin froh, dass er unser Nationaltrainer ist, aber ehrlich gesagt verstehe ich nicht, warum Rossi noch hier ist. Er könnte auch anderswo einen tollen Job machen.»

Der Italiener sei ein Workaholic, besuche so viele Spiele wie nur möglich. «In seinen Anweisungen ist er sehr klar. Die Spieler lieben ihn.» Rossi, seit 2018 im Amt und mittlerweile auch mit ungarischem Pass, ist es auch, der die jüngsten Erfolge verantwortet:

  • In der Nations League, wo man seit der letzten Austragung in der höchsten Liga spielt, verpasst man das Finalturnier 2023 in einer Gruppe mit Italien, Deutschland und England nur um 1 Punkt.
  • Im Kalenderjahr 2023 bleibt Ungarn in 10 Partien ungeschlagen.
  • Die EM-Qualifikation sichert sich das Team durch Platz 1 in der Gruppe G vor Serbien, Montenegro, Litauen und Bulgarien.

Vieles klar im Team

Kein Wunder also, dass in Ungarn die Begeisterung knapp 3 Monate vor der EM grenzenlos ist. «Fussball ist in unserer DNA, wir sind ein fussball-verrücktes Land. Die Endrunde könnte von uns aus morgen starten», meint Szekely. Von den 23 Kaderplätzen sind 20 so gut wie vergeben, verrät er.

Servettes Bendeguz Bolla habe gute Karten, für Lausannes Verteidiger Gabor Szalai wird es dagegen eng. Fragezeichen gäbe es im Team kaum. Einzig, ob der lange verletzte Peter Gulacsi (RB Leipzig) oder sein Stellvertreter Denes Dibusz (Ferencvaros) das Tor hüten wird, ist noch offen.

Dominik Szoboszlai
Legende: Ist Ungarns grosser Star Dominik Szoboszlai (hier nach einem Tor für Liverpool). IMAGO Images/Shutterstock

Hinten stabil, vorne Szoboszlai und Varga

Die Ungarn trauen ihrem Land an der EURO viel zu: «Ich glaube, diese EM wird sehr, sehr speziell für uns sein – und nicht nur 10 Tage dauern. Marokko hat an der letzten WM gezeigt, was möglich ist, wenn man sich an seinen Plan hält», sagt Sekely stellvertretend.

Zuversichtlich stimmt ihn neben Rossis Geschick das Team selber. «Ungarn ist kein Team, es ist eine Familie.» Diese ist in den Jahren auch dank lockerer Regularien der Fifa grösser geworden. So konnten unter anderem Willi Orban, das 20-jährige Aussenverteidiger-Talent Milos Kerkez oder Mittelfeldmann Callum Styles eingebürgert werden und den Konkurrenzkampf schüren.

Taktisch vertraut Rossi auf eine stabile Abwehr mit 3 Innenverteidigern, die von Leipzigs Orban dirigiert wird. Bei Ballgewinn der kompakten Defensive, in der jeder Spieler weiss, was er zu tun hat, soll es im Idealfall in hohem Tempo nach vorne gehen.

Liga hört früher auf

Angetrieben von Liverpool-Star Dominik Szoboszlai, der mit 23 Jahren bereits Captain des Nationalteams ist, hat das Team aber auch in der Offensive grosse Fortschritte gemacht. «Rossi versucht nun, auch den alten Stil des ungarischen Fussballs spielen zu lassen», erklärt Sekely. Für die Tore soll Barnabas Varga sorgen, der mit 29 Jahren seinen zweiten Frühling erlebt.

Helfen soll Ungarn an der EURO auch der Umstand, dass der Ligabetrieb eine Woche früher als geplant endet. So sollen sich die in der heimischen Liga engagierten Spieler perfekt auf die EM vorbereiten können. Die Auftaktpartie gegen die Schweiz findet am 15. Juni in Köln statt.

David Szekely

Programmdirektor M4 Sport

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David Szekely ist Programmdirektor von M4 Sport , dem ungarischen Sportfernsehsender der öffentlich-rechtlichen Medien. Er ist seit 2006 als Kommentator tätig und heute Leiter des grössten Sportkanals Ungarns, bei dem auch die Spiele der Fussball-Nationalmannschaft gezeigt werden.

EURO-Spielplan

SRF zwei, sportlive, 23.03.2024, 19:30 Uhr

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