Cristiano Ronaldo präsentierte den Fans in Marienfeld ganz cool seine Tricks, dann posierte er mit breitem Grinsen mit der Siegermannschaft des öffentlichen Trainings für ein Foto. Der 39-Jährige wirkt dieser Tage völlig befreit. Und das, obwohl in der Vorrunde der EM in Deutschland seine beeindruckende Serie gerissen ist.
Bei seinem zehnten grossen Turnier blieb der fünffache Weltfussballer in der Vorrunde erstmals ohne Treffer. Doch der Angreifer zeigt im gehobenen Alter plötzlich ungeahnte Qualitäten.
Mannschaftsdienlich unterwegs
«Cristiano Ronaldo lebt von Toren, klar», sagte Mitspieler Pepe in Richtung der Kritik übenden Journalisten: «Aber haben sie gesehen, wie bereitwillig er auf dem Platz ist, unserer Nationalmannschaft zu helfen? Das ist unglaublich.»
In der Tat ist Ronaldo anders als noch bei der vergangenen WM in Katar unter Fernando Santos als Mittelstürmer der Portugiesen bei Trainer Roberto Martinez wieder unumstritten.
Statt als Goalgetter besticht der Routinier plötzlich als Teamplayer, lässt ganz uneigennützig seine Mitspieler glänzen. In seinen letzten zehn Turnierspielen traf er lediglich vom Elfmeterpunkt.
Doch seine Mitspieler sind vom «neuen» Ronaldo begeistert: «Er wird für die Endphase der Europameisterschaft bereit sein, und ich weiss, dass er uns viel Freude bereiten wird», sagte Pepe.
Pleite gegen Slowenien vor drei Monaten
Nicht alle in Portugal sind sich dabei so sicher. Fragen, die derzeit immer wieder gestellt werden, lauten: Wie gut ist diese Mannschaft wirklich? Und macht sie Ronaldo immer noch besser – oder eher nicht?
Ausgerechnet ein Testspiel gegen den Achtelfinal-Gegner Slowenien vor drei Monaten spricht eher gegen die «CR7»-Fans. Innerhalb von sechs Tagen gewannen die Portugiesen Ende März zunächst ohne Ronaldo gegen Schweden (5:2) und verloren danach mit Ronaldo gegen die vergleichsweise schwächer besetzten Slowenen (0:2).
A Bola befeuert Diskussionen
Seitdem wird im Land des Europameisters von 2016 wieder besonders kontrovers über den Rekord-Nationalspieler (210 Spiele) und Rekord-Torschützen (130 Tore) diskutiert.
Portugals grösste Sportzeitung A Bola verwies am Sonntag in einem langen Kommentar ausgerechnet auf einen Mann, mit dem Ronaldo in der kurzen gemeinsamen Zeit bei Manchester United nie etwas anfangen konnte: Trainer Ralf Rangnick.
Fehlt die klare Spielidee?
Denn der habe der österreichischen Nationalmannschaft etwas eingetrichtert, was sich bei den Portugiesen durch die Fixierung auf Ronaldo und seine individuellen Qualitäten nie herausgebildet habe: eine klare Spielidee. Eine fussballerische Identität. Werden Ronaldo und Co. Rangnick Lügen strafen?