Die Partie war längst abgepfiffen, als sich Pia Sundhage unter lautem Jubel vor den Fans im Berner Wankdorf verneigte. Das Publikum hatte ihren Namen skandiert. Die Schwedin hatte alles versucht, erstmals auf eine Defensiv-Viererkette umgestellt, diese als Täuschungsmanöver indes als Fünferabwehr ausgewiesen.
Immerhin 65 Minuten hielt es Spanien in Kombination mit dem Kämpferherz der Schweizer Akteurinnen davon ab, in Führung zu gehen. Ohne Gegentor gegen die Weltmeisterinnen in die Pause zu gehen, war zuvor an dieser EM keiner Equipe gelungen. Die Siegerinnen zeigten sich respektvoll und standen der Nati nach Spielschluss Spalier.
Natürlich, das im Vorfeld heraufbeschworene neue «Wunder von Bern», die Wiederholung des «Gelson-Moments» waren ausser Reichweite. Dennoch gewannen die Gastgeberinnen mit ihrem vollen Einsatz die Herzen der vielen Fans – was sich schon beim prächtigen Fanmarsch mit 25'000 Personen angedeutet hatte.
Nicht wie vor 2 Jahren
In gewissem Sinne war das Resultat dasselbe wie an der WM vor knapp 2 Jahren: Nach überstandener Vorrunde erwies sich wiederum Spanien als zu stark für die Nati. Und doch erinnert wenig an diese Ratlosigkeit, die an diesem Abend im August 2023 durch den Eden Park in Auckland wehte. Dafür sprechen (nicht nur, aber auch) folgende Punkte, die man bis kurz vor EURO-Start kaum für möglich hielt:
- Die Zukunft: Eine starke neue Generation hat eine erste Talentprobe abgelegt. Sydney Schertenleib, Leila Wandeler, Iman Beney und Noemi Ivelj sind noch Teenagerinnen. Riola Xhemaili sowie Svenja Fölmli zählen 22 Jahre, Goalie Livia Peng 23.
- Der Teamgeist: Nie zuvor hörte man die Spielerinnen derart über den Spirit in der Equipe schwärmen. Dass bei Torjubeln jeweils die gesamte Ersatzbank mitfeierte, unterstrich diesen äusseren Eindruck. Ebenso das mehr als faire Verhalten der kurzfristig zur Nummer 2 degradierten Elvira Herzog.
- Die Mentalität: Aufgeben? War für dieses Team nie eine Option. Unter dem Druck einer unfassbaren Kulisse im Eröffnungsspiel zusammenzubrechen auch nicht. Gegen Finnland bewahrte man bis in die Nachspielzeit Ruhe, gegen Spanien kam nach dem Doppelschlag ebenfalls kein befürchteter Zusammenbruch.
- Die Begeisterung: Die Schweizer Bevölkerung hat die für möglich gehaltenen Grenzen weit nach oben verschoben. So wurden an jenem Freitag neue Rekorde aufgestellt. Mit dem 25'000 Fans umfassenden Marsch, ebenfalls mit der Zahl von 78'407 Zuschauenden in Viertelfinals einer Frauen-EM – notabene nach erst drei von vier Partien.
Natürlich, die Niederlage hätte bei zwei Penaltys und drei Pfostentreffern höher ausfallen können. Doch es hätte nicht zu diesem Abend gepasst, der wie die Nati-Partien zuvor ein veritables Fussballfest war.
WM-Quali, Umbruch und Sundhage-Frage
Frei von Fragezeichen ist das SFV-Team trotz aller positiver Ansätze keineswegs. Übersteht man die komplizierte WM-Qualifikation? Wie wird nun der sich aufdrängende Umbruch vorangetrieben? Und vor allem: mit wem? Sundhages Vertrag läuft Ende Jahr aus. Dazu wollte sie sich vorerst nicht äussern: «Ich habe keine Ahnung, ich muss erst mal schlafen.»