Wer wird denn gleich nervös werden, nur weil sie im grössten Spiel der Geschichte des Schweizer Frauenfussballs im vollen St. Jakob-Park auflaufen darf? Die Nati zu Beginn an jenem Mittwochabend jedenfalls nicht. Die mit durchschnittlich 24,6 Jahren jüngste Schweizer Startelf an einer Endrunde schaffte es, den Druck in Energie umzuwandeln.
Würde man Halbzeit 1 der EURO-Eröffnungspartie isoliert betrachten, man stellte den Schweizerinnen ein grossartiges Zeugnis aus. Goaliediskussion? Mögliche Zwangspause für Lia Wälti? Offensive Ungefährlichkeit? All diese im Vorfeld ausgiebig diskutierten Baustellen schienen zu diesem Zeitpunkt versiegelt und unter einer meterdicken Betondecke begraben.
Nach dem Ausgleich bröckelt die Fassade
Doch das stabil wirkende Konstrukt erhielt prompt Risse. Dass zuvor blasse Norwegerinnen nur durch einen Standard zum 1:1 kamen, schien fast logisch. Die Ordnung im Schweizer Spiel litt sichtlich darunter. Keine 5 Minuten später lag man plötzlich in Rückstand – wegen eines Eigentors. Das junge Schweizer Team verlor darob die zuvor klare Matchidee. Und phasenweise die Nerven, konnte es doch mit dem Zeitschinden der «Gresshoppene» nur schlecht umgehen.
System, Abschlüsse und Peng machen Mut, Wältis Knie und Bühlers Abwesenheit Sorgen
Die mangelnde Effizienz in der Offensive verhinderte nebst den beiden Unachtsamkeiten zumindest einen Punktgewinn. Und doch gibt es vieles, das die Nati in die nächsten Spiele mitnehmen kann:
- Das System: Nach einem durchzogenen Abend vor einem Monat in Sitten im Nations-League-Duell mit Norwegen kam an der Medienkonferenz die Frage auf, ob Iman Beney als Aussenverteidigerin wirklich ihr volles Potenzial ausschöpfen könne. Sie bleibe stur, betonte Trainerin Pia Sundhage, Beney werde die Position schon noch lernen. Tatsächlich: An der EM sah die Walliserin (mit Ausnahme des 1:2) schon deutlich besser aus, traute sich, höher zu stehen. Und auf der linken Seite konnte Nadine Riesen ihr Tempo mehrmals ausspielen und gar mit einem Treffer krönen.
- Die Abschlüsse: Ein Tor ist angesichts der Überlegenheit in Sachen Ballbesitz (61:39 Prozent), Torschüsse (15:9) und erwartete Treffer (1,6:1,3) zu wenig aus Schweizer Optik. Endlich traute man sich, auch einmal aus der zweiten Reihe abzuziehen – wie etwa Wälti nach einer Viertelstunde. Zu einer ganzen Hand voll guter Gelegenheiten kam die zum «Player of the Match» gewählte Géraldine Reuteler.
- Die Torhüterin: Beim Ausgleich durch die blank stehende Ada Hegerberg sah auch Livia Peng nicht gut aus. Ansonsten zeigte die Bündnerin eine souveräne Leistung, wirkte bei Flanken sicherer als in vergangenen Nati-Partien.
Andere Punkte geben Anlass zur Sorge. Ein Fragezeichen muss hinter Wältis Gesundheitszustand für die kommenden Aufgaben gesetzt werden. Die Captain musste sich im Lauf des Spiels ihr angeschlagenes Knie stärker einbandagieren lassen. Im Abwehrzentrum wurde vorab in Halbzeit 2 die Präsenz der verletzt fehlenden Luana Bühler vermisst. Stellvertreterin Julia Stierli war bei beiden Gegentoren beteiligt.
Eines steht jedenfalls fest: Die EURO ist lanciert, und die Nati durchaus in der Lage, gegen Island und Finnland die geforderten Punkte einzufahren.