Im Normalfall stehen in Spaniens Team andere Spielerinnen im Rampenlicht. So zum Beispiel die beiden Weltfussballerinnen Alexia Putellas und Aitana Bonmati. Letztere entschied den EM-Halbfinal gegen Deutschland mit einem Geniestreich, Erstere ist mit 4 Torvorlagen die beste Vorbereiterin der Women's Euro. Oder Angreiferin Esther Gonzalez, mit 4 Toren Führende im EM-Torschützinnen-Klassement.
Manchmal fragen mich meine Teamkolleginnen, ob mir Fussballspielen überhaupt Spass macht.
Da geht Patricia Guijarro, genannt Patri, gerne vergessen. Dabei ist es sie, welche dem spanischen Spiel im Turnier in der Schweiz den Stempel aufdrückt. «Sie ist die Basis unseres Spiels. Diejenige, die uns dirigiert. Sie bringt uns dazu, das Maximum aus uns herauszuholen», sagte Teamkollegin Vicky Lopez vor dem Spiel gegen Deutschland. Und Trainerin Montse Tomé adelt sie sogar «als weltweit beste zentrale Mittelfeldspielerin».
Spaniens Passmaschine
Patri hat nicht nur die mit Abstand meisten Pässe aller EM-Akteurinnen gespielt (462), auch ihre Erfolgsquote von fast 90 Prozent ist unter Mittelfeld- und Offensivspielerinnen unerreicht. Dabei sind es nicht nur einfache Kurz- und Querpässe. Gerade im Halbfinal gegen Deutschland stellte die 27-Jährige ihr aussergewöhnliches Auge unter Beweis und überwand das deutsche Abwehr-Bollwerk mehrfach mit gelungenen Seitenverlagerungen oder feinen Pässen in die Tiefe.
«Ihre Pässe sind immer nach vorne gerichtet», sagt Lopez und streicht dabei die Spielintelligenz von Patri heraus: «Manchmal ist es nur schwer mitzuhalten, weil sie Zuspiele sieht, die man als Mitspielerin gar nicht erwartet.» Patri selbst streitet nicht ab, dass sie viel von sich und ihren Mitspielerinnen verlangt. «Ich nehme das sehr ernst, ich bin sehr ehrgeizig und kompetitiv», sagte sie einst im Interview mit dem spanischen Fussballverband.
Und weil sie auf dem Platz auch mal eine Teamkollegin zusammenstaucht und fast ständig einen ernsten Gesichtsausdruck hat, «fragen mich meine Teamkolleginnen manchmal, ob mir Fussballspielen überhaupt Spass macht», sagt die Perfektionistin Patri. «Aber … doch, natürlich geniesse ich es auch.»
Aus dem Streik in den EM-Final
Keine halben Sachen macht Patri auch neben dem Feld. Den Weltmeistertitel von 2023 verpasste sie, weil sie zusammen mit 14 anderen Spielerinnen für bessere Trainingsbedingungen und strukturelle Veränderungen im Verband gestreikt hatte – notabene noch vor dem Kuss-Skandal um Verbandspräsident Luis Rubiales und Jenni Hermoso nach dem gewonnenen WM-Final.
Die anschliessenden Veränderungen reichten noch nicht aus, um Patri zu einer Rückkehr zu bewegen. «Es hat sich einiges geändert, aber nicht alles», sagte sie damals.
Erst auf die Olympischen Spiele 2024 liess sie sich nach vielen Gesprächen mit Trainerin Tomé umstimmen. Nun ist sie drauf und dran, als zentrale Spielerin Spanien am Sonntag in Basel zum ersten EM-Titel zu führen. Ein Eintrag in die Geschichtsbücher winkt, der auch Patri endgültig ins Rampenlicht rücken würde ...