Nein, damit, dass Handball in Island auf eine grosse Tradition zurückblickt, habe das nichts zu tun, lacht Sveindis Jonsdottir. Sie sei immer schon Fussballerin gewesen. Am Thunersee wird die Stürmerin von SRF mit ihren Einwürfen konfrontiert. Ein Gesprächsthema, das mit Sicherheit häufiger aufkommt. Denn Jonsdottirs berüchtigte Art, den Ball vom Seitenaus in den Strafraum zu schleudern, gehört zu den grössten Waffen der Isländerinnen.
So auch immer wieder zum Auftakt gegen Finnland, wo es in der 27. Minute ein erstes Mal brandgefährlich wird. Doch für einmal können ihre Kolleginnen die Vorlagen nicht nützen, am Ende verliert Island überraschend 0:1. Dass sie so wirft, wie andere flanken, habe Jonsdottir im Nachwuchs festgestellt: «Als Kind habe ich bei 7 gegen 7 den Ball einfach direkt ins Tor geworfen – und es zählte!»
Jonsdottir überlegt: «Ich habe sehr lange Arme, vielleicht hilft das.» Die 24-Jährige kann zwar nicht in Metern angeben, wie weit sie kommt, «aber bis zum Penaltypunkt schon». Das Nachmessen mit einem Analysetool zeigt: Es sind stolze 32 Meter. Wohl einfach ein «Island-Ding», diese Wahnsinns-Würfe, mutmasst Jonsdottir und verweist auf das Männerteam.
Man erinnert sich, als die Isländer an der EURO 2016 in Frankreich die Herzen im Sturm eroberten. Mit ihren lauten Fans – Stichwort «Huh!» –, viel Einsatz und eben auch gigantischen Einwürfen schlug man England und unterlag erst im Viertelfinal Frankreich.
Es wäre unfair, Jonsdottir auf ihre Einwürfe zu reduzieren. Zu stark ihre Technik, zu hoch ihr Tempo, zu ausgeprägt ihr Torinstinkt. Die Tochter einer Ghanaerin und eines Isländers erfreut sich auf der Insel hoher Popularität. Und verfügt bereits über ein reich geschmücktes Palmarès: Mit Wolfsburg holte sie 2022 das Double, 2023 und 2024 weitere Meistertitel. Nach der EM folgt das nächste Abenteuer, Jonsdottir wechselt in die USA nach Los Angeles zum Angel City FC.
Beste Freundin Xhemaili, Autorinnenkollegin Wälti
Zum Schweizer Team hat Jonsdottir eine besondere Beziehung: «Riola Xhemaili ist meine beste Freundin, wir hören uns jeden einzelnen Tag.» Das Duo blickt auf eine gemeinsame Vergangenheit bei den «Wölfinnen» zurück. Beim Ausblick auf das Direktduell hofft Jonsdottir: «Für uns wäre es besser, wenn sie nicht spielt, sie ist so gut. Ich wünsche ihr nur das Beste, gegen uns aber ein bisschen weniger.»
Nicht nur fussballerisch hat es die 2 Jahre jüngere Schweizerin der Isländerin angetan: «Ich liebe ihre Persönlichkeit!» Im täglichen Austausch gehe es kaum je um Fussball, während der EM müsse man ohnehin vorsichtig sein, so Jonsdottir. Aufpassen heisse es zudem auf Lia Wälti, «alles läuft über sie».
Abseits des Platzes verbindet Jonsdottir mit der Schweizer Kapitänin, dass auch sie in der Kinderbuchliteratur aktiv geworden ist. Zwei Bücher hat sie verfasst, deren Protagonistin ein fussballspielendes Mädchen ist.
Am Sonntag will Jonsdottir zur Hauptdarstellerin werden, wenn es wie in der Nations League gegen die Schweiz geht. Gibt es überhaupt noch Geheimnisse? «Wir haben viele Waffen, die wir noch nicht gezeigt haben. Die Schweiz muss wirklich vorsichtig sein», lacht Jonsdottir. Die Weitwerferin, deren Waffe längst kein Geheimnis mehr ist.