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Grosse Ziele bei Manuela Schär «Habe mit den Paralympics noch eine Rechnung zu begleichen»

Nach Monaten ohne Wettbewerb geht am Sonntag der London Marathon über die Bühne. Mit Manuela Schär kommt die Favoritin auf den Sieg bei den Rollstuhlfahrerinnen aus der Schweiz. Im Interview spricht sie über den Lockdown, die anstehenden Herausforderungen und Olympia.

SRF Sport: Manuela Schär, 2019 war für Sie ein Traumjahr. In Ihrer Paradedisziplin Marathon fuhren Sie von einem Erfolg zum anderen, siegten bei allen grossen Rennen. Dazu wurden Sie Weltmeisterin und verbesserten die Weltrekorde im Marathon und über 800 m. Wie schätzen Sie Ihr Jahr im Rückblick ein?

Manuela Schär: 2019 war das erfolgreichste Jahr meiner Karriere. Von A bis Z ging immer alles auf, auch das Wettkampfglück war immer auf meiner Seite. Es waren durchaus auch schwierige Rennen dabei. Daher ist es keineswegs selbstverständlich, dass alles so gut aufgegangen ist. Aber auf mein «Wettkampf-Bauchgefühl» war meistens Verlass, was Sicherheit und Selbstvertrauen gibt.

In diesem Jahr wäre mit den Paralympischen Sommerspiele in Tokio das nächste Highlight angestanden, doch wegen der Corona-Pandemie stand auch das Leben im Rollstuhlsport still. Haderten Sie mit dem Lockdown, der Sie in der wohl besten Phase Ihrer Karriere traf?

Der ganze Lockdown kam ja nicht von heute auf morgen, es hatte sich schon länger abgezeichnet. Als dieser dann effektiv Tatsache wurde, war ich relativ gut vorbereitet. Ich hatte mich zu Hause bereits mit den entsprechenden Trainingsgeräten eingerichtet. So konnte ich mit der Situation relativ gut umgehen. Die grösste Sorge war, dass die Paralympics ersatzlos gestrichen werden, was ja glücklicherweise nicht passiert ist.

Zur Person

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Bereits 2004 nahm Manuela Schär bei den Paralympischen Sommerspielen teil und gewann Silber über 200 und Bronze über 100 Meter. Seither gehört sie zu den besten Rollstuhlfahrerinnen der Welt und dominiert seit einigen Jahren die World-Marathon-Majors-Saisons. 2019 wurde die heute 35-Jährige zur Paralympischen Sportlerin des Jahres gewählt.

Während Monaten fanden keine Wettkämpfe mehr statt. Wie hielten Sie die Motivation fürs Training hoch?

Mit der Motivation hatte ich überhaupt kein Problem. Bei mir überwog die Freude, dass ich überhaupt trainieren konnte. Viele Sportler, die auf eine gewisse Infrastruktur angewiesen sind, hatten viel grössere Probleme.

Anfangs August verbesserten Sie in Nottwil den Weltrekord über 1500 m um fast eine Sekunde. Es scheint, als hätte die Wettkampf-Pause zumindest auf Ihre Form keinen Einfluss gehabt.

Trotz der Absage der Paralympics hatten wir einen klaren Trainingsplan. Wir haben auf die Wochen, in denen die Paralympics gewesen wären, hintrainiert. So konnten wir schauen, ob im Ernstfall alles so klappt, wie wir uns das vorstellen. Das Rennen in Nottwil fiel genau in diese Zeit hinein. Obwohl ich während Monaten keinen Wettkampf bestritten hatte, konnte ich meine Leistung abrufen.

Manuela Schär.
Legende: Befindet sich nach dem Lockdown bereits wieder in Top-Form Manuela Schär. Keystone/Archiv

Diesen Sonntag steht mit dem London Marathon der erste Grossevent seit Monaten auf dem Programm, auch für Sie gilt es nun wieder Ernst. Verspüren Sie eine gewisse Nervosität?

Es ist alles ein wenig anders als in anderen Jahren. Nur schon das ganze Sicherheitskonzept, das uns während Tagen begleitet, ist ein grosses Thema. Es ist eine sehr spezielle Situation und das beeinflusst natürlich auch das Gefühl, das man vor so einem Wettkampf hat.

Die Organisatoren in London haben sich ein Bein ausgerissen.
Autor: Manuela Schär

Anfangs März verzichteten Sie aufgrund der Corona-Pandemie auf eine Teilnahme am Tokio Marathon. Auch in London steigen aktuell die Fallzahlen wieder stark an. Was ist für Sie jetzt anders als noch in März?

Da der Marathon in Tokio zu Beginn der Corona-Pandemie stattfand, musste extrem improvisiert werden. In London dagegen hatte man mehrere Monate Zeit, ein umfassendes Sicherheitskonzept aufzustellen. Die Organisatoren haben sich ein Bein ausgerissen, um den Event in diesem Rahmen durchführen zu können. So gehe ich auch mit einem guten Gefühl nach England.

Der Wettbewerb findet im St. James's Park statt. Zumindest die Marathon-Läufer schwärmen immer wieder von den schnellen Bedingungen. Wie sieht es bei den Rollstuhlfahrern aus?

Das Streckenprofil und der Kurs im Allgemeinen fällt bei uns wahrscheinlich fast noch mehr ins Gewicht als bei den Marathonläufern. Dieses Jahr wird das Rennen auf einem sehr kurzen Rundkurs stattfinden, es sind fast 20 Runden zu absolvieren. Es gibt heuer nur sehr wenige Schlüsselstellen, wo man attackieren kann. Man darf gespannt sein, wie sich das Rennen entwickeln wird.

Was steht nach London auf dem Programm?

In diesem Jahr finden keine Rennen mehr statt. Daher gilt es dann schon bald einmal, die Vorbereitung für die nächste Saison in Angriff zu nehmen.

Werfen wir noch einen Blick ins nächste Jahr: Sowohl 2012 als auch 2016 verliefen die Paralympics für Sie nicht wie gewünscht, eine Medaille blieb aus. Was nehmen Sie sich für die Sommerspiele in Tokio vor?

Bedingt durch die Vorgeschichte bei den letzten beiden Paralympics habe ich grosse Ziele für Tokio 2021. Ich konnte in den letzten Jahren sehr viele Erfolge feiern, sodass mein Ehrgeiz riesig ist. Ich habe mit den Paralympics noch eine Rechnung zu begleichen. Wenn ich meine Form mitnehmen kann, bin ich sehr optimistisch für das nächste Jahr.

Das Gespräch führte Michael Gasser.

Radio SRF 1, Bulletin von 06:00 Uhr, 02.10.2020 ; 

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