Kerstin Kündig ist im Schweizer Frauen-Handball eine Vorreiterin. Als die 31-Jährige 2020 nach 6 Jahren beim LC Brühl ins Ausland wechselte, war dies keine Selbstverständlichkeit. Damals spielten weit weniger der besten Schweizerinnen in internationalen Ligen. Beim letzten Nati-Zusammenzug standen hingegen bereits 9 von 18 Akteurinnen im Ausland unter Vertrag.
Kündigs Wechsel 2022 zu Viborg HK war gar ein Novum. Nie zuvor war eine Schweizer Handballerin von einem dänischen Spitzenklub verpflichtet worden. Inzwischen spielt eine Handvoll der Nati-Akteurinnen bei Topklubs in Dänemark, Deutschland oder Frankreich.
Mit diesem Wissen war es Anfang Jahr durchaus eine Schlagzeile, als bekannt wurde, dass Kündig ihr Ausland-Abenteuer im Sommer beenden und in die Schweiz zu GC Amicitia zurückkehren würde. Nach 5 Saisons in Deutschland (Thüringer HC und Bietigheim) und Dänemark (Viborg) wollte die Zürcher Oberländerin wieder näher bei Freunden und Familie sein.
Auch heuer sorgte Kündig für eine Premiere
Doch bevor die Rückraumspielerin mit über 100 Nationalteam-Einsätzen dem Thüringer HC den Rücken zukehrte, sorgte sie für eine weitere Premiere: Anfang Mai gewann sie mit dem Klub aus dem Osten Deutschlands die European League, den zweitwichtigsten europäischen Klub-Wettbewerb. Somit ist Kündig die erste Schweizerin, die einen internationalen Klub-Titel gewinnen konnte.
«Der Moment des Sieges ist überwältigend», sagt Kündig und fügt an: «Ich bin danach direkt auf die Tribüne zu meinem Mami.» Ihrer Mutter habe sie nach dem 34:32-Finalsieg gegen Ikast (DEN) gesagt: «Das ist die perfekte Saison, um danach nach Hause in die Schweiz zu kommen. Mehr kann ich nicht erreichen.»
Fuss fassen in der «normalen» Arbeitswelt
Und so brach Kündig ihre Zelte im Ausland auf dem Karriere-Höhepunkt ab. Doch auch mit GC Amicitia verfolgt die Nati-Kapitänin, die sich dieser Tage in Pfäffikon ZH in ihrer Wohnung einrichtet, ehrgeizige Ziele: «Wie jeder Spitzensportler und jede Spitzensportlerin möchte auch ich Titel gewinnen.» Kündig glaubt, dass sie mit dem jungen Zürcher Team eine gute Rolle in der Meisterschaft und im Cup spielen kann.
In Pfäffikon lebt die Zürcher Oberländerin endlich wieder in der Nähe ihrer wichtigsten Menschen. Ein weiterer Grund für ihre Rückkehr war der Wunsch, nach Jahren als Profisportlerin langsam in der «normalen» Arbeitswelt Fuss zu fassen. Kündig wird bei einer Versicherung als KI-Entwicklerin tätig sein.
Wie lange Kündig die Doppel-Rolle Handballerin/IT-Spezialistin ausüben wird, ist noch unklar. Gleichwohl sagt sie mit Blick auf ihre bisherige Karriere: «Mein jüngeres Ich wäre mega stolz.» Schöner kann eine Bilanz kaum ausfallen.