Heinz Günthardt, man hatte das Gefühl, dass Roger Federers Selbstvertrauen gegen Rafael Nadal wie weggeblasen war. Täuscht dieser Eindruck?
Nein, er täuscht nicht. Roger hat von Beginn weg versucht, mit Netzangriffen zum Erfolg zu kommen. Als dies nicht wie gewünscht funktionierte, wurde er zu zögerlich und verlor das Vertrauen in seine Schläge. Er ist nie in seine Komfortzone gekommen und hat keinen Rhythmus gefunden.
Federer schien einen «Gameplan» zu haben, konnte ihn aber nicht konsequent umsetzen. Hat ihn das verunsichert?
Ja, ganz bestimmt. Roger versuchte, offensiv zu spielen, hat aber bei den Angriffsbällen und am Netz zu viele Fehler gemacht. Dort hat ihm offensichtlich etwas die Routine gefehlt. Es ist ihm deshalb nicht gelungen, Nadal konsequent unter Druck zu setzen.
Während Nadal mit Fortdauer der Partie immer stärker wurde, schien Federer abzubauen. Woran lag es, dass er nicht an die Leistungen gegen Tsonga und Murray anknüpfen konnte?
Dass er nicht richtig ins Spiel kam, war in erster Linie ein Verdienst Nadals. Er antizipierte hervorragend und spielte die Passierbälle ausgezeichnet. Dennoch: Hätte Federer den ersten Satz gewonnen - er hatte beim Stand von 6:5 bei Aufschlag Nadal ein 30:0 – dann hätte sich die Partie vielleicht in eine andere Richtung entwickelt.
Hat es Sie überrascht, dass Nadal in der Folge derart aufdrehen konnte?
Heute hat er mich definitiv überrascht, nicht zuletzt wegen seiner Handverletzung. Im Viertelfinal gegen Dimitrov hat man klar gesehen, dass ihn die Blase behindert. Ich weiss aus eigener Erfahrung: Mit einem Tape an der Schlaghand ist das Gespür für den Schlägerkopf nicht das gleiche. Deshalb habe ich nicht erwartet, dass er auf einmal derart zulegen würde. Dass er sensationell Tennisspielen kann, wussten wir natürlich schon vorher.
Habe nicht erwartet, dass Nadal derart zulegen würde
Bis zum Halbfinal konnte Federer auf ganzer Linie überzeugen, gegen Nadal blieb er - einmal mehr - chancenlos. Wie wird sein Fazit ausfallen?
Er wird mit seinen Leistungen bis in den Halbfinal glücklich sein. Aber ein grosser Champion wie Federer gibt sich nie mit einer Niederlage zufrieden, schon gar nicht in drei Sätzen. Er wird dieses Spiel mit seinem Team besprechen und die nötigen Schlüsse ziehen, damit er Nadal in Zukunft in einem grossen Match wieder einmal schlagen kann.
Stanislas Wawrinka meinte nach seinem Halbfinal-Erfolg gegen Tomas Berdych, dass er das Spiel zwischen Federer und Nadal im Hotelzimmer mit einer Tüte Popcorn verfolgen werde. Wie gut hat ihm das Popcorn angesichts der Leistung Nadals geschmeckt?
Ich denke ausgezeichnet, auch wenn er natürlich Roger die Daumen gedrückt hat. Aber Stan steht im Final, hat zwei Tage Pause und kann sich optimal auf das Spiel gegen Nadal vorbereiten. Das Popcorn wird er bestimmt genossen haben, denn er hatte sein Soll ja bereits erfüllt.