Okay, ich gebe es zu: Meine Prognose an gleicher Stelle vor zwei Wochen war nicht ganz akkurat. Rafael Nadal spiele den Final gegen Novak Djokovic, meinte ich damals und begründete die Voraussage mit der überragenden Saison 2013, die diese beiden gespielt hatten. Wobei - im Nachhinein war die Prognose gar nicht sooo schlecht – mit 50 Prozent Erfolgsquote wären die meisten Wahrsager schon ziemlich happy.
Und: Hätte Djokovic nicht gegen «the Stanimal» verloren, wären es wohl 100 Prozent geworden, denn gegen Tomas Berdych wäre Djokovic im Halbfinal nicht ausgeschieden, da bin ich mir sicher. Aber egal: Kommentatoren sind auch dazu da, widerlegt zu werden, wenn sie sich aufs Glatteis der Prognosen wagen.
Wawrinkas imposanter Lauf
Rafa war verletzt im Final, nur deshalb konnte Stan gewinnen, sagen jetzt die, die immer alles besser wissen. Haben diese Meckerer den ersten Satz gesehen, als Wawrinka den Spanier vom Platz schoss und nichts auf eine Verletzung von Nadal hindeutete, frage ich zurück. Sind die ewigen Nörgler wirklich sicher, dass Rafa das Ding gedreht hätte? Niemand kann diese Frage beantworten. Das einzige, was sicher ist: Stan hat gewonnen. Und das nicht nur gegen Nadal.
Wawrinka ist der erste Spieler seit 20 Jahren, der an einem Major die beiden Topgesetzten geschlagen hat. Er ist neben Juan Martin Del Potro der einzige Spieler ausserhalb der «Big Four», der in den letzten neun (!) Jahren ein Grand-Slam-Turnier gewonnen hat. Und er hat ab dem Achtelfinal ausnahmslos Spieler geschlagen, gegen die er eine negative Bilanz hat (Robredo 2:6, Djokovic 3:15, Nadal 1:12) oder zumindest früher einmal hatte (gegen Berdych lag er 2:4 zurück, bevor er 7 der letzten 8 Matches gewann).
Mit anderen Worten: Stan hat sich diesen Titel mehr als verdient. Er hat sich gegen alle Widerstände durchgesetzt. Beharrlich hat er immer weiter an sich gearbeitet, auch oder vor allem nach Niederlagen. Und die bitterste aller Niederlagen machte den Triumph in Melbourne überhaupt erst möglich. Nachdem er vor genau einem Jahr an gleicher Stelle das knappe Out gegen Djokovic verdaut hatte, erkannte er: Hey, ich kann mit den grossen Jungs mithalten!
Wawrinkas Gespür bei der Trainer-Wahl
Wawrinka verpflichtete einen neuen Coach und bewies mit der Wahl von Magnus Norman ein ausgezeichnetes Gespür. Denn der Schwede wollte nicht einfach nur die Schwächen im spielerischen Repertoire ausmerzen, er wollte den Schweizer gezielt auch mental stärker machen. Frei nach dem Motto, dass sich im Tennis das meiste zwischen den Ohren abspielt. Nur wer auch in den grossen Matches bei den wichtigen Punkten nicht verkrampft, wird am Ende um Majortitel mitreden können.
Zwei Beispiele dazu: Es war Stans hartnäckigem Dranbleiben zu verdanken, dass Djokovic im Viertelfinal am Ende zwei einfache Bälle ins Aus schlug. Und es war die mentale Stärke Wawrinkas, die ihn am Ende des ersten Satzes gegen Nadal fünfmal hintereinander mit dem Aufschlag punkten und so drei Breakbälle Nadals abwehren liess.
Der «neue» Stanislas Wawrinka begeistert. Was für ein Turnier, was für eine Leistung. Hätte ich einen Hut – ich würde ihn ziehen. Was bin ich froh, ist meine ursprüngliche Prognose nicht eingetroffen! Merci beaucoup Stan, pour deux semaines inoubliables!