«Wenn mir vor dem Turnier jemand gesagt hätte, dass ich hier in den Halbfinal komme und die Nummer 1 der Welt schlage, ich hätte ihn für verrückt erklärt», sagte Jelina Switolina nach ihrem 3-Satz-Sieg gegen Iga Swiatek. «Ich weiss gar nicht, was gerade in meinem Kopf passiert. Es ist ein unglaubliches Gefühl, hier zu spielen», so die Ukrainerin, die eine Wildcard für das Major an der Church Road erhalten hatte.
Erst seit 6 Monaten wieder im Training
Der Halbfinal-Einzug in Wimbledon ist die bisherige Krönung von Switolinas beeindruckendem Comeback: Vor einem Jahr hatte sie Wimbledon wegen ihrer Babypause verpasst. Im Oktober war die 28-Jährige, die mit dem französischen Tennisprofi Gaël Monfils verheiratet ist, Mutter einer Tochter geworden. Ins Training stieg sie erst vor einem halben Jahr wieder ein, Anfang April gab sie das Comeback auf der WTA-Tour.
Dass schon bald wieder mit ihr zu rechnen ist, hatte die einstige Nummer 3 der Welt an den French Open gezeigt, wo sie erst im Viertelfinal gestoppt wurde. Von Position 1344 hat sie sich mittlerweile über 1260 Plätze nach vorn gekämpft, aktuell ist sie die Nummer 76.
Der Krieg hat mich stärker gemacht.
Mit Venus Williams, Sofia Kenin, Victoria Azarenka und zuletzt Swiatek schaltete sie vier Grand-Slam-Siegerinnen aus. Nun steht sie zum dritten Mal in ihrer Karriere (nach Wimbledon und den US Open je 2019) in einem Major-Halbfinal.
Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf ihre Heimat und der Geburt ihrer Tochter haben sich Switolinas Ansichten verändert. «Mental sehe ich schwierige Situationen auf dem Platz nicht mehr als Desaster an», so Switolina. «Es gibt schlimmere Dinge im Leben.»
Gleichzeitig freue sie sich, wenn sie ihre Landsleute vielleicht kurzzeitig auf andere Gedanken bringen könne. «Ich habe viele Videos im Internet gesehen, wo Kinder auf ihren Handys meine Spiele sehen. Das lässt mein Herz wirklich schmelzen», sagte Switolina nach ihrem Halbfinal-Einzug. «Ich bin glücklich, dass ich ein klein bisschen Freude in ihr Leben bringen kann.» Der Krieg, der nun schon über 500 Tage andauert, habe auch ihr Leben verändert. «Der Krieg hat mich stärker gemacht», so die 28-Jährige.
Gegen eine andere Überraschungsfrau
Im Halbfinal steht Switolina mit Marketa Vondrousova (WTA 42) eine Spielerin gegenüber, die auch nicht unbedingt dort erwartet worden war. Die 24-jährige Tschechin, in der Vergangenheit immer wieder von Handgelenksverletzungen gebremst, hatte im All England Club zuvor nie die 2. Runde überstanden.
Neben zwei Achtelfinal-Teilnahmen ist der Finaleinzug 2019 an den French Open ihr Major-Bestresultat. Für die Linkshänderin, 2021 an Olympia in Tokio erst im Final von Belinda Bencic gestoppt, wird es das sechste Duell mit Switolina – das erste an einem Grand-Slam-Turnier.