Dass Carlos Alcaraz eher früher als später seinen Premieren-Titel an einem Grand-Slam-Turnier feiern würde, darüber herrschte in der Tennis-Szene schon seit geraumer Zeit Einigkeit. Minder eindrucksvoll ist sein Erfolg in Flushing Meadows deswegen aber keineswegs. Vor allem wenn man sich die Art und Weise vor Augen führt, wie der 19-Jährige sämtliche Hürden auf dem Weg zum Triumph an den US Open übersprang.
Insgesamt 23 Stunden und 40 Minuten stand Alcaraz im gesamten Turnier auf dem Platz – und somit so lange wie noch kein anderer Spieler an irgendeinem der 4 Major-Turniere.
Besonders in der zweiten Turnierwoche wurde Alcaraz von seinen Gegnern ans Limit gepusht. Ab dem Achtelfinal stand der Shootingstar in jedem Spiel zumindest zwischenzeitlich mit dem Rücken zur Wand. Statt in Panik zu verfallen und den verpassten Chancen nachzutrauern, blieb Alcaraz seinen Prinzipien treu und stellte damit unter Beweis, dass er seinem Alter in Sachen Mentalität weit voraus ist.
- Achtelfinal: Gegen Marin Cilic liegt Alcaraz im Entscheidungssatz mit Break zurück. Der Spanier gibt aber nicht auf, sucht die Offensive und gewinnt den 5. Umgang gegen den US-Open-Champion von 2014 noch mit 6:3.
- Viertelfinal: Zusammen mit Jannik Sinner bietet Alcaraz dem tobenden Publikum im Arthur Ashe Stadium über 5 Stunden lang Tennis-Feinkost. Beim Stand von 4:5 im 4. Satz wehrt Alcaraz bei Aufschlag Sinner einen Matchball ab. Im 5. Durchgang kämpft sich «Carlitos» wiederum von einem Breakrückstand zurück, um schliesslich doch noch zu gewinnen.
- Halbfinal: Wie gegen Cilic und Sinner muss Alcaraz auch gegen Frances Tiafoe über 5 Sätze gehen. Dies, obschon der Spanier bereits im 4. Satz zu einem Matchball kommt. Alcaraz steckt auch diesen Rückschlag weg und setzt sich zum 3. Mal in Serie über die volle Distanz durch.
- Final: Nach dem Verlust des 2. Satzes wirkt Alcaraz körperlich und mental müde. Casper Ruud macht den frischeren, agileren, stärkeren Eindruck. Doch im kritischsten Moment, im 3. Satz bei 5:6 und 2 Satzbällen für Ruud, spielt Alcaraz gross auf und holt sich das Momentum zurück.
Die Hartnäckigkeit hat sich ausgezahlt: Alcaraz ist nicht nur zum jüngsten Major-Champion seit Rafael Nadal (French Open 2005), sondern auch zur jüngsten Weltnummer 1 überhaupt avanciert. Mit 19 Jahren und 4 Monaten ist der Youngster aus Murcia auf dem Tennis-Olymp angekommen. Auf diesem will er nun so lange wie möglich bleiben. Bevor die Verteidigung beginnt, ist aber Erholung angesagt: «Tatsächlich bin ich jetzt etwas müde», so Alcaraz beim Siegerinterview. Wer hätte das gedacht?