Marlen Reusser hat bereits derartige Fussstapfen im Radrennsport hinterlassen, dass es überraschen mag: Doch auch bei ihr gibt es noch «erste Male». Nun in Tokio also ihre ersten Olympischen Spiele. Reusser löste erst 2017 die Lizenz, noch im selben Jahr gewann sie beide Schweizer Meistertitel. Letzte Saison folgten EM-Bronze und WM-Silber im Zeitfahren.
Aus Schweizer Sicht ist Reusser eine One-Woman-Show bei den Strassen-Radfahrerinnen. Im Kampf um den einzigen Startplatz stach sie ihre gute Freundin Elise Chabbey – die 2012 in London als Kanutin dabei war – aus. Reusser findet das «schade». Ausserdem sei die Ausgangslage für das Strassenrennen «schwierig», zumal sie nicht für den Kurs gemacht sei. Handkehrum birgt die Solo-Vorstellung auch Vorteile: «Ich kann mich ein wenig im Feld verstecken, habe keine Verantwortung.»
Zeitfahren der abwechslungsreichen Art
Die 29-jährige Emmentalerin gerät dafür im Hinblick aufs Zeitfahren am Mittwoch ins Schwärmen: Es sei «eine sehr aufregende Strecke. Es gibt kaum ein flaches Stück, dafür viele schnelle Abfahrten, viel Wind, schnelle Kurven, spannende Aufstiege.» Im Vergleich zur WM in Imola werde ein Medaillengewinn wohl ein gutes Stück schwieriger.
Im technischen Bereich ortet sie gegenüber der Konkurrenz noch Luft nach oben, eine Begleiterscheinung ihres späten Einstiegs in die Welt des Rad-Profisports. «Deshalb habe ich auf gut Berndeutsch bei den Abfahrten ab und zu etwas den ‹Gagg i de Hose›», schmunzelt Reusser. Sie nimmt dies – bezeichnend für ihre positive Art – zum Anlass, sich auf die Zukunft zu freuen: «Wenn ich weitere Fortschritte mache und der Respekt etwas schwindet, muss es enormen Spass machen, die Abfahrten hinunterzurasen.»
Dennoch: Der Spätstarterin ist im Kampf gegen die Uhr allen Widrigkeiten zum Trotz eine Medaille zuzutrauen. Gewonnen hat die bis 2018 parallel noch praktizierende Ärztin schon vor dem Rennen. Zumindest an Erfahrung und als Standortbestimmung: «Es wird mir zeigen, wie weit ich technisch gereift bin.»