Die 39-jährige Jasmin ist mit heroinabhängigen Eltern aufgewachsen. Im Podcast «Rehmann – SOS Sick of Silence» erzählt sie Moderator Robin Rehmann offen von ihren Erfahrungen.
SRF: Wieso ist das Thema Sucht so tabubehaftet?
Jasmin: Ich glaube, viele Menschen haben immer noch ein falsches Bild von der Sucht. Sie haben das Gefühl, Süchtige sind selber Schuld, dass sie in dieser Situation sind. Als Kind möchte man die Eltern verteidigen und spricht darum lieber nicht über die Sucht. Das ist zumindest mein Eindruck.
Als Kind möchte man die Eltern verteidigen.
Hat sich das Sprechen über die Sucht deiner Eltern wie ein Verrat angefühlt?
Absolut. Ich habe noch heute ein schlechtes Gewissen, wenn ich über die Suchterkrankung meiner Eltern spreche. Und ich habe sie auch immer verteidigt, egal, ob gerechtfertigt oder nicht.
Die Sucht bei den eigenen Eltern zu erkennen, stelle ich mir schwierig vor. Wie hast du das erlebt?
Ich hatte keine wirkliche Vorstellung davon, was «Kranksein» in diesem Zusammenhang bedeutet. Als Kind denkt man bei «Kranksein» an eine Grippe. Darum konnte ich das nicht einordnen und habe gedacht, sie werden schnell wieder gesund.
Wie hast du gemerkt, dass etwas anders ist?
Meine Mutter hat den Haushalt vernachlässigt, ich bin oft zu spät in den Kindergarten gekommen, mein Bruder war den ganzen Tag im Pyjama. Und: Wir gingen oft nach Zürich. Nicht auf den Platzspitz, sondern in ein schäbiges Parkhaus in der Stadt, wo Heroin gehandelt wurde. So habe ich langsam gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Da war ich etwa fünf Jahre alt.
Hast du deine Eltern je beim Heroinkonsum gesehen?
Sie haben mir im Nachhinein erzählt, dass ich einmal hereingeplatzt sei. Ich kann mich aber nicht daran erinnern.
Und wie ist es zur Umplatzierung ins Kinderheim gekommen?
In unserem Fall ging das sehr schnell. Meine Grossmutter hat eine Gefährdungsmeldung gemacht und so sind mein Bruder und ich vorübergehend zu den Grosseltern und dann in ein Kinderheim gekommen. Diese Zeit war für mich sehr schlimm, weil wir bis zum Heroinkonsum meiner Eltern eine sehr normale und behütete Kindheit hatten. Im Heim hiess es dann immer, wir könnten bald wieder nach Hause – ich wartete und wartete darauf, 10 Jahre lang.
Wie waren deine Erfahrungen im Kinderheim?
In meinem Fall war das Kinderheim keine gute Erfahrung. Ich habe Gewalt erlebt, Einschüchterungen, Bestrafungen und extrem strenger Glaube. Das hat dazu geführt, dass ich mich ständig wie ein schlechter Mensch fühlte und ein verzerrtes Bild von mir und meiner Geschichte bekam. Mir ist aber wichtig, Kinderheime nicht per se zu verurteilen. Das können tolle Orte sein – nur in meinem Fall war es leider nicht so.
Ich wurde magersüchtig, weil mein Gewicht das einzige war, das ich kontrollieren konnte.
Wie ging deine Geschichte weiter?
In meiner Jugend bin ich in eine Magersucht gerutscht, weil mein Gewicht das einzige war, das ich kontrollieren konnte. Später wurde ich sehr rebellisch, habe Markenkleidung geklaut, mich in Zürich den Punks angeschlossen, gekifft. Dort habe ich meine Insel abseits der strengen Regeln im Kinderheim gefunden.
Rebellion ist oft ein Ventil für betroffene Kinder und Jugendliche. Irgendwohin muss man mit seinen Emotionen, wenn man niemandem vertrauen kann.
2020 hast du mit «Löwenzahnkinder» einen Verein gegründet, der Kinder aus suchtbetroffenen Familien unterstützt. Woher kommt der Name?
Der Löwenzahn passt symbolisch sehr gut. Er kann sich unter widrigsten Bedingungen durchsetzen, zum Beispiel in steinigem Terrain. Und gleichzeitig symbolisiert die Pusteblume die Leichtigkeit, die sich Kinder wünschen – einfach durch die Welt schweben, Kind sein.
Das Gespräch führte Robin Rehmann.
Die Fragen und Antworten sind ein Auszug aus der «Rehmann – SOS Sick of Silence»-Folge vom 11. März 2024. Sie wurden gekürzt und paraphrasiert.
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