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Gendermedizin und Covid-19 Der kleine Unterschied und die grossen Folgen in der Medizin

Gendermedizin ist ein noch immer junges Fachgebiet, in dem sich Catherine Gebhard bewegt: Sie untersucht, wie Geschlechterunterschiede die Gesundheit beeinflussen – aktuell bei Corona.

Catherine Gebhard

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Catherine Gebhard ist eine führende Forscherin der Gendermedizin. Sie ist Biologin und leitet als Professorin in Zürich und in Kooperation mit dem Universitätsspital in Bern den Studiengang für Gendermedizin.

SRF: Gibt es geschlechterspezifische Unterschiede bei der Corona-Pandemie?

Catherine Gebhard: Covid-19 ist ein Beispiel, das diese Unterschiede deutlich zeigt: Wir wissen, dass Männer häufiger einen schweren Verlauf haben und auch häufiger an der Corona-Infektion sterben. Auf den Intensivstationen in Europa sind 70 bis 80 Prozent der Patienten Männer und auch von der Sterblichkeit sind Männer verhältnismässig mehr betroffen als Frauen.

Was ist Gendermedizin? Catherine Gebhard antwortet

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Gendermedizin ist Humanmedizin, unter besonderer Berücksichtigung der biologischen, aber auch sozial und kulturell bedingten Unterschiede zwischen Mann und Frau. Sie impliziert eine geschlechtsspezifische Erforschung, aber auch geschlechtsspezifische Diagnostik und Behandlung von Krankheiten.

Das Forschungsfeld ist noch recht jung. Wurde es bislang zu wenig berücksichtigt?

Die Gendermedizin hat noch keinen Einzug in die klinische Routine erhalten. Sie wird im Alltag von den Ärztinnen und Ärzten und dem medizinischen Personal kaum umgesetzt, obwohl eigentlich jährlich 8000 bis 9000 wissenschaftliche Artikel über die Thematik publiziert werden.

Wo kommt die Gendermedizin besonders zum Vorschein?

Auf meinem Feld zum Beispiel: Als Kardiologen wissen wir, dass der Herzinfarkt sich bei Frauen auch anders zeigen kann als bei Männern, die andere Symptome haben. Das kann fatale Folgen haben, z.B. dass es zu Verzögerungen kommt bei der Behandlung des Herzinfarkts. Und wir wissen, dass wir den Herzinfarkt möglichst schnell behandeln müssen. Die verschlossenen Gefässe müssen schnell wieder eröffnet werden, damit das betroffene Herzgewebe nicht abstirbt.

Frauen mit einem Herzinfarkt verständigen später ihren Arzt oder ihre Ärztin und werden auch später behandelt. Das ist eine fatale Verzögerung, die zu einer höheren Sterblichkeit führt.

Wie sind Sie dazu gekommen, sich auf dieses Gebiet zu spezialisieren?

Das hat vor zehn Jahren angefangen. Damals hatten wir mittels Herzultraschall ältere Patientinnen und Patienten untersucht. Wir haben gesehen, dass das weibliche Herz stärker schlägt mit dem Alter - viel stärker als das der Männer.

Da stellt sich die Frage: Passen denn die Normalwerte, die wir haben, überhaupt für ältere Frauen? Haben ältere Frauen, deren Herzfunktion in dem Bereich liegt, den wir als normal definieren, vielleicht bereits eine Herzschwäche? Und wie bilden unsere Leitlinien das ab? Da ist uns aufgefallen, dass wir keinerlei Daten hierzu haben.

Warum sind Männer von Covid-19 anders betroffen als Frauen?

Es gibt bisher keine verlässlichen Daten, es sind alles Hypothesen. Aber man vermutet aus früheren Untersuchungen, etwa während der Sars-Epidemie 2002/2003, dass die Proteine, durch die das Virus in die Zellen kommt, von Geschlechtshormone beeinflusst werden, also von Östrogen und von Testosteron. Das führt dazu, dass das Virus möglicherweise leichter in männliche Zellen eintreten kann und bei Männern einen schwereren Verlauf verursacht. Aber, wie gesagt: Das sind Hypothesen.

Wie wird das erforscht?

Das geht nur, indem man Männer und Frauen getrennt untersucht und die Hormone berücksichtigt – sowie alle Faktoren, die den Hormonstatus beeinflussen können, wie zum Beispiel die Menopause bei den Frauen oder Hormoneinnahmen.

Dazu haben wir in der Schweiz ein Projekt gestartet, das vom Schweizerischen Nationalfonds gefördert wird. Wir wollen untersuchen, welche geschlechtsspezifischen Faktoren zu einem schweren Verlauf der Coronavirus-Erkrankung führen.

Untersuchen Sie in dieser Studie auch Unterschiede im Umgang mit der Corona-Pandemie?

Wir untersuchen auch die sogenannte Genderdimension, also sozial und kulturell bedingtes Gesundheits- und Krankheitsverhalten. Wir wissen beispielsweise, dass Frauen eher zögern, wenn sie Hilfe suchen und auch weniger oft Rehabilitationsmassnahmen in Anspruch nehmen, weil sie sich verpflichtet fühlen, sich zuerst um die Familie und Angehörige zu kümmern und dann erst um sich selbst.

Anders ist es vielleicht beim Maskentragen, da Männer beim Gesundheitsverhalten eher risikofreudiger sind.

Das international auszuweiten stelle ich mir nicht so einfach vor. Jedes Land hat einen anderen Umgang, allein schon beim Maskentragen.

Diese Sachen sind sehr wichtig. Deswegen läuft die Studie auch vorwiegend erst mal in der Schweiz, aber auch unter Einbeziehung internationaler Experten.

Werden Ihre Forschungen bezüglich eines Covid-19-Impfstoffes berücksichtigt?

Das hoffen wir. Wir haben auch schon Aufrufe gestartet, zusammen mit internationalen Expertinnen und Experten, dass Geschlechterunterschiede berücksichtigt werden müssen, wenn man Impfstoffe erforscht, aber auch bei den Medikamenten, die derzeit getestet werden.

Man weiss von diesen Medikamenten, aber auch von Immunreaktionen, dass es da grosse Geschlechterunterschiede gibt. Wenn man die nicht berücksichtigt, wird das der therapeutische Nutzen für die eine oder andere Gruppe einfach schlechter sein.

Das Gespräch führte Patricia Moreno.

SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 21.07.20, 7:50 Uhr ; 

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