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Wortstark, deutlich und direkt Virenjägerin Emma Hodcroft: Vorausschauend und doch kaum gehört

Früh erkannte Hodcroft, was dieses Virus anrichten wird und welche Massnahmen nötig wären. Heute sagt sie: Die Wissenschaft wurde von der Politik nicht ausreichend gehört – allen Warnrufen zum Trotz.

«Zu Beginn der Pandemie hatte ich das Gefühl, dass alle Wissenschaftler in ganz Europa geradezu schrien. Aber niemand hat zugehört. Im Verlauf der Pandemie gab es dann immer wieder Momente, in denen ich das Gefühl hatte, dass wir immer noch schrien. Leider ist es nicht immer so, dass unsere Empfehlungen umgesetzt werden.»

Wortstark, deutlich und direkt. Die britisch-amerikanische Wissenschaftlerin Emma Hodcroft nimmt kein Blatt vor den Mund. Ihr Kommunikationskanal: Twitter.

Die 34-Jährige inszeniert sich auch auf ihrem Profilbild angriffig, mit Pfeil und Bogen. Beruflich aber hat die Epidemiologin das Coronavirus im Visier: «Auf Twitter nenne ich mich ‹Virenjägerin›. Weil ich glaube, dass wir das Virus mit seiner Genetik jagen und verfolgen können.»

Jagen und Verfolgen. Das ist der Kern von Hodcrofts Virenforschung. Zusammen mit Schweizer Forschern hat sie das Projekt Nextstrain gegründet. Sie vergleicht Gen-Sequenzen von Corona-Proben und kann so Übertragungsketten verfolgen – rund um die Welt. So erkennt sie etwa, ob Coronafälle in ein Land importiert werden oder ob sich die Menschen innerhalb ihres Landes anstecken.

Emma Hodcroft lebt alleine in der Schweiz, wohnt erst seit drei Jahren in Basel. Hier hat sie bis im November auch geforscht, heute hat sie eine Stelle an der Universität Bern. Ihre Familie und Freunde sind auf der ganzen Welt verteilt.

Mit ihren Wortmeldungen hat sich die junge Wissenschaftlerin in der Szene einen Namen gemacht, ist zu einer international gefragten Expertin geworden. Und auf Twitter hat sie mehr Follower als jeder andere Corona-Experte in der Schweiz.

Ihr Stil kommt im sozialen Netzwerk gut an. Dort hält sie ihre Community über Entwicklungen der Corona-Pandemie auf dem Laufenden und versucht ihre Forschung verständlich und greifbar zu machen. Doch nicht nur das: Auch Selbstironie und Witz haben Platz in ihren Botschaften. Etwa, wenn sie ihren automatischen Staubsauger in der Wohnung losschickt und er plötzlich verschwindet.

Auf demselben Kanal Wissen vermitteln und Emotionen zeigen? Für Hodcroft schliesst sich das nicht aus: «Ich finde es wichtig, dass Wissenschaftler zeigen, dass sie auch Menschen sind. Hoffentlich können mir die Leute so mehr vertrauen und mich besser verstehen, wenn ich Wissenschaft erkläre.»

Trotz all dem Druck und der hohen Arbeitsbelastung in diesem Jahr versucht Emma Hodcroft, den Humor nicht zu verlieren. Und sie bleibt auch in der Krise optimistisch: «Ich hoffe, dass ich im nächsten Jahr etwas frei nehmen kann. Und ich hoffe wirklich, dass die Zusammenarbeiten aus diesem Jahr weitergehen.»

Auch wenn sie hofft, dass das Virus bald auf einem niedrigeren Niveau sein wird, ist sie doch überzeugt, dass es von dieser Pandemie noch enorm viel zu lernen gibt.

Und das gelte nicht nur für die Wissenschaft. Die Virenjägerin nimmt einmal mehr die politischen Entscheidungsträger ins Visier: «Eines sollten Politiker aus der ersten Welle gelernt haben: Bei einer Pandemie ist Warten nie die Lösung.»

Nachgefragt bei Bundesrat Alain Berset

Puls, 21.12.2020, 21:05 Uhr

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