Am 5. Juni 1981 wird in den USA das erste Mal über eine mysteriöse Krankheit berichtet: Fünf homosexuelle Männer leiden an einer seltenen Form von Lungenentzündung. Dann schlägt die Aids-Epidemie mit voller Wucht zu. Mehr als 40 Millionen Menschen sterben daran.
In der Forschung beginnt die fieberhafte Suche nach dem Erreger dieser Krankheit. Am 20. Mai 1983, fast zwei Jahre später, dann die Nachricht: Das Virus ist isoliert. Damit wird eine bis heute beispiellose Geschichte von akademischer Forschung und Medikamentenentwicklung eingeleitet.
Seit den 1990ern mittendrin ist der Arzt und Forscher Huldrych Günthard, heute Leiter der «Swiss HIV Cohort Study», die seit 35 Jahren wesentliche Erkenntnisse liefert.
Huldrych Günthard
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Prof. Huldrych Günthard ist stellvertretender Klinikdirektor der Klinik für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene am Universitätsspital Zürich. Er studierte ab 1984 Medizin und ging danach in die HIV-Forschung. Seit 2012 ist er ausserdem Präsident der «Swiss HIV Cohort Study».
SRF Wissen: Vor 40 Jahren wurde das Virus isoliert. Was bedeutete dies für die Forschung?
Huldrych Günthard: Damals kursierten viele Theorien. Krankheitsauslöser seien die Drogen, die Lebensweise, es gab esoterische Ideen. Deshalb war wichtig, zu wissen: Der Auslöser der Krankheit ist ein Virus. Damit konnte man dessen Genom, Aufbau und Lebenszyklus genauer erforschen, was für eine Therapie essenziell ist.
Der Lebenszyklus des HI-Virus
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Anheftung:
Das Virus heftet sich an spezifische Rezeptoren von Immunzellen.
Fusion:
Das Virus verschmilzt mit der Membran der Zelle, an der es angeheftet ist. Dadurch gelangt das retrovirale genetische Material (RNA) in diese Wirtszelle.
Reverse Transkription:
Ein Enzym (Reverse Transkriptase) wandelt die Virus RNA in DNA um.
Integration:
Die neu erstellte virale DNA integriert sich in die DNA der Wirtszelle und wird permanenter Bestandteil des Wirtsgenoms.
Replikation:
Die integrierte virale DNA veranlasst, dass die Wirtszelle neue virale RNA und Proteine produziert – also die Bestandteile des Retrovirus.
Zusammenbau:
Die neu produzierten viralen Bestandteile werden zu Viruspartikeln zusammengebaut.
Ausschleusung:
Die neuen viralen Partikel werden von der Wirtszelle freigesetzt und können nun weitere Zellen infizieren.
Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Ab 1984 studierte ich Medizin und ging danach direkt in die HIV-Forschung. Der Wissenszuwachs faszinierte mich. Aber da war auch eine grosse Angst: In der Schweiz gab es grosse Ansteckungswellen, und zwar nicht nur bei schwulen Männern und in der Drogenszene. Eine tödliche Krankheit, bei der sich jede und jeder über Sex anstecken kann, das hat alle sehr aufgewühlt. Vor allem junge Menschen waren betroffen, unsere Zukunft! Nach anfänglichen Querelen zwischen politischen Lagern wurde dann aber über Parteigrenzen hinweg problemorientiert zusammengearbeitet, wie ich das sonst nie gesehen habe.
Wie fand man 1983 das Virus?
Das war eine Mischung aus Wissen und Kunst. Für die damalige Zeit hat man es schnell gefunden. Die Sequenziermethoden von heute, dank denen man Erbsubstanz von unbekannten Erregern findet, die gab es damals noch nicht. Man versuchte, das Virus anzuzüchten. Das ist nicht trivial. Die beiden erfolgreichen Labore in Frankreich und den USA hatten schon mit anderen Viren viel Erfahrung gehabt, was geholfen hat.
Der Forscherstreit
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1983 veröffentlicht der inzwischen verstorbene französische Biologe
Luc Montagnier
die Entdeckung des retroviralen Aids-Erregers. Zusammen mit seiner Kollegin
Françoise Barré-Sinoussi
habe er das verantwortliche HI-Virus isoliert. Doch auch der US-Virologe
Roberto Gallo
beansprucht für sich, das HI-Virus entdeckt zu haben. Er veröffentlicht 1984 eine ähnliche Studie.
Es folgt ein Streit zwischen den beiden Forschern, in dem es darum geht, wer zuerst das HI-Virus entdeckt hat. Es ging aber auch um Geld: Der Entdecker konnte auch Patente geltend machen.
2008 wird der Streit offiziell beigelegt: Montagnier und Barré-Sinoussi erhalten im selben Jahr den Nobelpreis für ihre Entdeckung, Gallo geht leer aus.
Warum ist der Kampf gegen HIV so schwer?
Eigentlich sind wir sehr erfolgreich. Ich kenne keine Krankheit, deren Therapie so viele Lebensjahre gewinnt, wie dies die antiretrovirale Therapie tut. Hat sich früher ein 20-Jähriger infiziert, ist er mit einer 50-prozentigen Wahrscheinlichkeit nach etwa zehn Jahren gestorben. Heute werden Menschen, die mit HIV leben, ungefähr gleich alt wie nicht HIV-infizierte Menschen. Bei erfolgreich Behandelten tritt Aids nicht mehr auf, und sie sind zu 100 Prozent nicht mehr ansteckend.
So wird heute therapiert
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Betroffene schlucken heute ein bis zwei Tabletten pro Tag. In den Tabletten sind verschiedene Wirkstoffe kombiniert. In der Regel sind es drei Substanzen, die den HI-Virus an unterschiedlichen Punkten seines Lebenszyklus angreifen. Damit wird das Virus neutralisiert.
Je früher nach der Infektion therapiert wird, desto besser ist das für die Gesundheit der infizierten Person. Teilweise kann das Virus heute schon mit der Kombination von nur zwei Wirkstoffen gehemmt werden. Eine Studie zeigt, dass unter speziellen Umständen eine Therapie mit nur einem Wirkstoff möglich ist.
Früher mussten Betroffene 24 oder noch mehr Tabletten, verteilt über drei bis vier Gaben pro Tag, einnehmen. Deren Wirkstoffe waren noch nicht so weit entwickelt und teils sehr toxisch.
Das ist ein wahnsinniger Erfolg, aber ausrotten können wir das Virus nicht. Der Grund liegt in der Biologie dieses Retrovirus. Es integriert seine Erbinformation in das menschliche Erbgut. Und das auf unterschiedliche Art, in unterschiedlichen Organen, Zelltypen und Genen. Wenn sich die Zellen teilen, wird das Virus vermehrt, auch wenn es nicht aktiv ist – so bilden die Zellen ein Virus-Reservoir. Die grösste Hürde ist, diese latent infizierten Zellen zu erkennen und zu zerstören.
Das Ziel der UNO ist, die Krankheit bis 2030 zu eliminieren. Ist das realistisch?
Wir haben in der Schweiz ein relativ stabiles Niveau mit durchschnittlich rund 300 Neuansteckungen pro Jahr erreicht. PrEP, also die Präexpositions-Prophylaxe, kann helfen, die Zahl weiter zu reduzieren. PrEP ist eine Kombination von zwei antiviral wirksamen Medikamenten. PrEP wird vor ungeschütztem Sex mit einem eventuell ansteckenden Menschen eingenommen.
Wie sich Menschen heute anstecken
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Die grösste Übertragungsgruppe weltweit sind heterosexuelle Menschen. Über ungeschützten Geschlechtsverkehr stecken sich vor allem in Subsahara-Afrika viele Menschen an. Besonders stark betroffen sind Frauen.
Mutter-Kind Übertragungen sind weltweit stark zurückgegangen. In der Schweiz passiert das praktisch nicht mehr.
In reichen Ländern infizieren sich am ehesten Männer, die Sex mit Männern haben. In Ländern mit einer offenen Drogenszene kommt es auch zu vielen Ansteckungen über Nadeltausch. Zum Beispiel in gewissen Staaten der USA, oder auch in Russland, wo praktisch keine Spritzenabgabe und keine Methadon- oder Heroinprogramme existieren.
Generell werden heute viel weniger Kondome benutzt, wohl auch wegen des Erfolgs der HIV-Behandlung. Deshalb sind aber andere sexuell übertragbare Krankheiten wieder auf dem Vormarsch.
PrEP ist ein Paradigmenwechsel: Nicht infizierte, gesunde Menschen, die sexuelle Risiken eingehen, nehmen antivirale Medikamente langfristig ein, um eine HIV-Infektion zu verhindern. PrEP ist effektiv, wenn sie zuverlässig eingenommen wird. Sie verhindert nicht die Übertragung anderer sexueller Erkrankungen.
Die Ansteckung mit HIV hat wesentlich mit Verhalten zu tun. Sexuelles Verhalten wird man nie kontrollieren können. Deshalb brauchen wir einen Impfstoff, der so gut ist wie z.B. jener gegen Hepatitis-B. Dann hätten wir eine Chance, HIV wirklich auszurotten.
Das Interview führte Angelika Kren.
Swiss HIV Cohort Study
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Die Langzeit-Kohortenstudie wurde 1988 mit Unterstützung des Parlaments und des Bundesamts für Gesundheit lanciert. Sie läuft seither und gilt als «Daten-Infrastruktur von nationaler Bedeutung». An der Studie beteiligten sich bisher über 21'000 Menschen, die mit HIV in der Schweiz leben. Derzeit sind knapp 10'000 aktiv.
Eine Stärke der Studie ist, dass sie alle Risikogruppen, schwangere Frauen und Kinder einschliesst. Einzigartig ist auch, dass sie über eine Biobank mit über 1,7 Millionen Plasma- und Zellproben verfügt, die gemeinsam mit klinischen Daten systematisch gesammelt wurden. Dies ermöglicht klinische und Grundlagenforschung für Menschen, die mit HIV leben, aber auch generelle Krankheitserforschung.
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