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Physik-Nobelpreis geht an drei Teilchenforschende
Aus Tagesschau vom 03.10.2023.
Bild: Ill. Niklas Elmehed / Nobel Prize Outreach abspielen. Laufzeit 2 Minuten 54 Sekunden.
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Nobelpreis für Physik 2023 Die «Attosekundenphysik» stösst die Tür in eine neue Welt auf

Zu klein und zu schnell: Elektronen galten lange als «unbeobachtbar». Drei Forschende haben das Unmögliche möglich gemacht, und erhalten dafür den Nobelpreis in Physik. 

Wir kennen sie von der Schulzeit: Atome. Sie bestehen aus dem Atomkern - der ist schwer, relativ gross, besteht aus positiv geladenen Protonen, gegebenenfalls auch Neutronen.  Rund um den trägen Kern schwirren die Elektronen, nein, sie flitzen nur so umher. Und zwar sehr, sehr, sehr schnell. So schnell, dass Werner Heisenberg 1925 postulierte, dass die Position und die Umlaufbahnen eines des Elektrons im Wasserstoffatom im Prinzip nie beobachtbar sein würden.  

L’Huillier, Agostini und Krausz aber haben es möglich gemacht: Dank ihrer Arbeit kann man zwar nicht die genaue Position, wohl aber die Dynamik von Elektronen in Atomen und Molekülen sichtbar machen.   

Sie wurden ausgezeichnet

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Legende: Von links: Pierre Agostini, Ferenc Krausz und Anne L’Huillier. Ohio state university / C.laschinger / Bengt Oberger

Den Nobelpreis für Physik teilen sich dieses Jahr drei Personen: 

Die Französin Anne L’Huillier wurde 1958 in Paris geboren. Sie studierte theoretische Physik und promovierte im Feld der experimentellen Atomphysik. Seit 1997 ist sie Professorin in Lund, Schweden. Mit ihrer theoretischen wie auch experimentellen Forschung mit Lasern schuf sie die Grundlagen für die Experimente der beiden Co-Preisträger. Anne L’Huillier ist die fünfte Frau, die mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet wurde.  

Der ungarisch-österreichische Ferenc Krausz wurde im Mai 1962 in Mór, Ungarn geboren. Er studierte theoretische Physik sowie Elektrotechnik in Budapest. Seit 2003 ist er Direktor am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching bei München, später wurde er zudem Professor für Experimentalphysik an der Ludwig-Maximilians-Universität, München.

Er und sein Team erzeugten 2001 zum ersten Mal Lichtpulse mit einer Dauer von 650 Attosekunden, weswegen er als Begründer der Attosekundenphysik gilt. Bereits 2015 wurde er als Favorit für den Physik-Nobelpreis gehandelt. 

Der Franzose Pierre Agostini wurde 1941 in Tunis, Tunesien, geboren. Er studierte Physik in Südfrankreich. Seit 2005 ist er Professor für Physik an der Ohio State University in den USA, wo er auch heute noch als emeritierter Professor tätig ist.

Seine Forschung wurde bereits mehrfach ausgezeichnet. Wie Krausz und seinem Team gelang es auch Agostini 2001 eine Reihe von aufeinanderfolgenden Lichtimpulsen im Attosekundenbereich zu produzieren, sogenannte «pulse trains», mit einer Dauer von nur 250 Attosekunden. 

«Stellen Sie sich Elektronen nicht als Punkte oder Teilchen vor. Sondern als Wasser-Wellen. Was wir beobachten können, ist die Dynamik des Wellenkamms», erklärt die frisch ausgezeichnete Anne L’Huillier via Telefon im Rahmen der Verkündung.  

Elektronen bewegen sich extrem schnell, im Zeitraum von Attosekunden. Eine Attosekunde ist ein Milliardstel einer Milliardstelsekunde, oder 0,000.000.000.000.000.001 Sekunden. Vorgänge in diesem Zeithorizont zu beobachten, schien lange unmöglich, weil es keine Laser gab, die so kurze Lichtimpulse erzeugen konnten. Der kürzeste Impuls war für lange Zeit sechs Femtosekunden – also 1000-mal zu lange.  

So kurz ist eine Attosekunde 

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Tik, tak, tik, tak. Wir alle sind ständig von tickenden Uhren und Weckern umgeben und haben dadurch ein ganz gutes Gefühl dafür, wie lange eine Sekunde dauert. Doch wie lange ist eine Attosekunde? 

Teilen wir eine Sekunde durch 100, erhalten wir eine Hundertstel-Sekunde. Das entspricht in etwa der Zeit, die vergeht, wenn ein Kolibri einmal mit seinen Flügeln schlägt.

Teilen wir eine Sekunde durch eine Milliarde, dann erhalten wir eine Nanosekunde. Unvorstellbar?  

Bei der Attosekunde geht es so weiter. Erst wenn wir nämlich eine Nanosekunde durch eine Milliarde teilen, erhalten wir eine Attosekunde. Heisst: eine Attosekunde ist so kurz, dass in einer uns wohlbekannten Sekunde so viele Attosekunden vergehen, wie Sekunden seit der Entstehung des Universums vergangen sind. 

Dank der Grundlagenforschung der drei Ausgezeichneten wurde es dann aber möglich, Lichtimpulse im Attosekundenbreich zu erzeugen. Und damit die schnellen Prozesse zu beobachten, in denen Elektronen ihre Position ändern. Und das heisst: Nun sind Bilder von den Vorgängen in Atomen und Molekülen möglich. 

Anne L’Huillier entdeckt 1987, dass sogenannte «Obertöne» des Lichts entstehen, wenn infrarotes Laserlicht durch ein Edelgas geschickt wird. Die Erforschung dieses Phänomens ist der Grundstein für weitere Experimente und Durchbrüche, und für die Erzeugung von superkurzen Lichtimpulsen.  

Auf dem Bild ist ein Experiment zu sehen.
Legende: Aus einer kleinen Düse im Vordergrund strömt Edelgas, das Laserpulse in Attosekunden-Lichtblitze umwandelt. Max-Planck-Institut für Quantenoptik / Thorsten Naeser

2001 erzeugt Pierre Agostini dann Reihen von aufeinanderfolgenden Lichtimpulsen und untersucht sie. Jeder Impuls dauert lediglich 250 Attosekunden, so kurz wie nie zuvor. Praktisch zeitgleich gelingt es Ferenc Krausz in einem anderen Experiment, einen einzelnen Lichtimpuls von 650 Attosekunden zu erzeugen.  

«Das stecken über 30 Jahre Grundlagenforschung drin. Jetzt beginnt man Anwendungen zu finden, wir sehen so viele Möglichkeiten. Aber es zeigt: Alles braucht seine Zeit.», so L’Huillier.  

Ein Tor zum Heiligen Gral? 

1.136.640.000.000.000.000.000.000.000 Attosekunden – oder 36 Jahre nach L’Huilliers ersten Experimenten, kann man also anfangen, über mögliche Anwendungen nachzudenken. 

Zum Beispiel bei dielektrischen Materialien, also Materialien, die leitend oder nicht-leitend sein können. Ihre Eigenschaften hängen davon ab, wo sich die Elektronen in den Molekülen des Materials gerade aufhalten.  

Dank Attophysik kann man die Elektronen in solchen Materialien nun «steuern». Sie also gezielt leitend oder nicht- leitend machen, in sehr schneller Taktung. Heisst: zukünftige elektronische Geräte können unvorstellbar viel schneller werden.  

Das wäre der Heilige Gral, wenn man diese Startphase der Reaktionen kontrollieren, und damit auch die Fotosynthese besser verstehen könnte.
Autor: Anne L'Huillier Physik-Nobelpreisträgerin

Aber auch in der Medizin erhofft man sich Anwendungen. Blutproben könnten mit Attosekunden – Präzision untersucht werden und minimalste Änderungen festgehalten werden. Vor allem in der (Früh-)Diagnostik sieht man hier Chancen.  

Und zuletzt könnte die Attosekundenphysik uns erlauben, die Vorgänge der Fotosynthese zu steuern. Bei der Fotosynthese wird eine chemische Reaktion durch die Absorption von Licht ausgelöst. Der Start der Fotosynthese ist immer ein Elektronenübergang.

«Das wäre der Heilige Gral, wenn man diese Startphase der Reaktionen kontrollieren, und damit auch die Fotosynthese besser verstehen könnte», eröffnet L’Huillier Perspektiven.  

Bis es so weit ist, werden aber wohl noch einige Attosekunden vergehen. 

Tagesschau am Mittag, 03.10.2023, 12:45 Uhr

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