Wir kennen sie von der Schulzeit: Atome. Sie bestehen aus dem Atomkern - der ist schwer, relativ gross, besteht aus positiv geladenen Protonen, gegebenenfalls auch Neutronen. Rund um den trägen Kern schwirren die Elektronen, nein, sie flitzen nur so umher. Und zwar sehr, sehr, sehr schnell. So schnell, dass Werner Heisenberg 1925 postulierte, dass die Position und die Umlaufbahnen eines des Elektrons im Wasserstoffatom im Prinzip nie beobachtbar sein würden.
L’Huillier, Agostini und Krausz aber haben es möglich gemacht: Dank ihrer Arbeit kann man zwar nicht die genaue Position, wohl aber die Dynamik von Elektronen in Atomen und Molekülen sichtbar machen.
«Stellen Sie sich Elektronen nicht als Punkte oder Teilchen vor. Sondern als Wasser-Wellen. Was wir beobachten können, ist die Dynamik des Wellenkamms», erklärt die frisch ausgezeichnete Anne L’Huillier via Telefon im Rahmen der Verkündung.
Elektronen bewegen sich extrem schnell, im Zeitraum von Attosekunden. Eine Attosekunde ist ein Milliardstel einer Milliardstelsekunde, oder 0,000.000.000.000.000.001 Sekunden. Vorgänge in diesem Zeithorizont zu beobachten, schien lange unmöglich, weil es keine Laser gab, die so kurze Lichtimpulse erzeugen konnten. Der kürzeste Impuls war für lange Zeit sechs Femtosekunden – also 1000-mal zu lange.
Dank der Grundlagenforschung der drei Ausgezeichneten wurde es dann aber möglich, Lichtimpulse im Attosekundenbreich zu erzeugen. Und damit die schnellen Prozesse zu beobachten, in denen Elektronen ihre Position ändern. Und das heisst: Nun sind Bilder von den Vorgängen in Atomen und Molekülen möglich.
Anne L’Huillier entdeckt 1987, dass sogenannte «Obertöne» des Lichts entstehen, wenn infrarotes Laserlicht durch ein Edelgas geschickt wird. Die Erforschung dieses Phänomens ist der Grundstein für weitere Experimente und Durchbrüche, und für die Erzeugung von superkurzen Lichtimpulsen.
2001 erzeugt Pierre Agostini dann Reihen von aufeinanderfolgenden Lichtimpulsen und untersucht sie. Jeder Impuls dauert lediglich 250 Attosekunden, so kurz wie nie zuvor. Praktisch zeitgleich gelingt es Ferenc Krausz in einem anderen Experiment, einen einzelnen Lichtimpuls von 650 Attosekunden zu erzeugen.
«Das stecken über 30 Jahre Grundlagenforschung drin. Jetzt beginnt man Anwendungen zu finden, wir sehen so viele Möglichkeiten. Aber es zeigt: Alles braucht seine Zeit.», so L’Huillier.
Ein Tor zum Heiligen Gral?
1.136.640.000.000.000.000.000.000.000 Attosekunden – oder 36 Jahre nach L’Huilliers ersten Experimenten, kann man also anfangen, über mögliche Anwendungen nachzudenken.
Zum Beispiel bei dielektrischen Materialien, also Materialien, die leitend oder nicht-leitend sein können. Ihre Eigenschaften hängen davon ab, wo sich die Elektronen in den Molekülen des Materials gerade aufhalten.
Dank Attophysik kann man die Elektronen in solchen Materialien nun «steuern». Sie also gezielt leitend oder nicht- leitend machen, in sehr schneller Taktung. Heisst: zukünftige elektronische Geräte können unvorstellbar viel schneller werden.
Das wäre der Heilige Gral, wenn man diese Startphase der Reaktionen kontrollieren, und damit auch die Fotosynthese besser verstehen könnte.
Aber auch in der Medizin erhofft man sich Anwendungen. Blutproben könnten mit Attosekunden – Präzision untersucht werden und minimalste Änderungen festgehalten werden. Vor allem in der (Früh-)Diagnostik sieht man hier Chancen.
Und zuletzt könnte die Attosekundenphysik uns erlauben, die Vorgänge der Fotosynthese zu steuern. Bei der Fotosynthese wird eine chemische Reaktion durch die Absorption von Licht ausgelöst. Der Start der Fotosynthese ist immer ein Elektronenübergang.
«Das wäre der Heilige Gral, wenn man diese Startphase der Reaktionen kontrollieren, und damit auch die Fotosynthese besser verstehen könnte», eröffnet L’Huillier Perspektiven.
Bis es so weit ist, werden aber wohl noch einige Attosekunden vergehen.