«Welchen Nutzen hat ein Tierversuch im Verhältnis zur Belastung der Tiere?» Diese Güterabwägung müssen Forschende vornehmen, wenn sie für wissenschaftliche Erkenntnisse Versuchstiere verwenden.
Sie hätten festgestellt, dass es in den letzten 10 bis 15 Jahren in praktisch allen Forschungsbereichen an der Studienqualität gemangelt habe, sagt Hanno Würbel. Der Professor für Tierschutz an der Universität Bern hat die Fachkommission präsidiert, die die ethischen Richtlinien für Tierversuche der Akademien Schweiz revidiert hat, 20 Jahre nach der letzten Revision.
Die neuen Empfehlungen legen deshalb grössten Wert auf die Qualität von Studien: «dass man künftig genauer festlegt, wie Studien durchzuführen sind; wie man sie planen und die Daten auswerten muss, damit die Ergebnisse aussagekräftig und reproduzierbar sind», so Würbel.
Leidensfähigkeit früher kein Thema
Bessere Forschung = mehr Tierwohl: Diese Gleichung spielte in den 1980er-Jahren, als die Akademien Schweiz erstmals ethische Richtlinien für Tierversuche herausgaben, noch kaum eine Rolle. Die Forschenden machten sich damals wenig Gedanken über tiergerechte Haltung, oder wie man Versuchstiere stressfrei behandeln könnte. Auch die Leidensfähigkeit von Tieren sei in den Laboren kaum Thema gewesen, sagt Hanno Würbel.
Das hat sich grundlegend verändert: Die überarbeitete Version der ethischen Richtlinien nimmt jede Forscherin, jeden Forscher in die Pflicht, etwa bei den Haltungsbedingungen: «Das heisst, sie müssen eigenverantwortlich entscheiden, wie sie das Tierwohl ihrer Versuchstiere sichern können.»
Ein weiterer Punkt betrifft die Kooperation mit ausländischen Forschungsgruppen: Hier sind die Richtlinien gemäss Würbel unmissverständlich. Sie verlangten nämlich, dass Kooperationen im Ausland nur dann eingegangen werden, wenn der Umgang mit Versuchstieren den neuen Richtlinien nicht widerspricht.
Sei das nicht gewährleistet, könne es durchaus bedeuten, auf die Forschungskooperation im Ausland zu verzichten, sagt Hanno Würbel. Doch es werde viel öfter passieren, «dass man sich mit seinen Forschungspartnern und -partnerinnen darauf einigt, unter welchen Bedingungen diese Versuche durchgeführt werden, um die Standards einzuhalten.»
Vermittlung von Versuchstieren an Private
Schliesslich empfehlen die neuen Richtlinien auch, Versuchstiere nach Abschluss eines Versuchs – oder wenn Tiere überzählig sind – nicht mehr automatisch zu töten. Denn es gebe Alternativen. Das könne zum Beispiel die Wiederverwendung in einem neuen Tierversuch sein, aber auch die Vermittlung von Tieren an Privatpersonen.
Dieses «Rehoming» an Private werde inzwischen von verschiedenen Institutionen angeboten, etwa für Mäuse und Ratten, Kaninchen oder Hunde. Einzige Bedingung: «Die Tiere dürfen nicht genetisch verändert und müssen in einem guten Gesundheitszustand sein. Und das setzt auch voraus, dass man mit den Tieren eben auch im Rahmen der Forschung gut umgeht.»
Hanno Würbel sagt, die Schweiz sei im Ausgleich zwischen Forschungsfreiheit und Tierschutz im internationalen Vergleich pionierhaft. Die neuen ethischen Richtlinien sollen Forscherinnen und Forscher unterstützen, damit dies so bleibe.