- Am 14. April 1969 wurde in der Schweiz die erste Herztransplantation durchgeführt.
- Der Eingriff wurde als medizinische Sensation gefeiert – doch die Freude war nicht von Dauer.
- Das Vorgehen der Ärzte entfachte eine kontroverse Diskussion, die bis heute anhält.
2004 wacht Renata Isenschmid nicht bei sich zu Hause auf, sondern im Inselspital in Bern. Die Ärzte informierten sie, dass sie an ein Kunstherz angeschlossen werden musste – ihr eigenes hatte aufgehört zu schlagen. Sie sei nun an oberster Stelle auf der Warteliste für ein Spenderherz.
«Das war erst einmal ganz surreal für mich. Ich dachte ich träume, und wenn ich aufwache, ist dann alles wieder beim Alten», erzählt sie. Doch es blieb dabei. Sie brauchte tatsächlich ein neues Herz.
Ich hatte das Gefühl, dass ganze Bett zittere – fast wie ein Erdbeben
Und Renata Isenschmid hatte grosses Glück. Es wurde ein passender Spender gefunden und dessen Herz erfolgreich transplantiert.
«Ich hatte das Gefühl, dass ganze Bett zittere – fast wie ein Erdbeben», beschreibt sie das Gefühl des neuen Herzens direkt nach der Operation. 15 Jahre nach der Transplantation hat sie sich an den Klang und das Gefühl gewöhnt.
Doch wessen Herz da in ihr pocht, weiss die 58-Jährige bis heute nicht. Weder Alter, Geschlecht noch Todesursache wurden ihr bekanntgegeben. Damit soll verhindert werden, dass nach den Spendern gesucht wird.
Denn eine Organspende ist für alle Beteiligten ein sehr emotionales Thema. Und das seit nunmehr 50 Jahren – also seit der ersten Herztransplantation in der Schweiz am 14. April 1969, erklärt der Historiker Simon Hofmann.
Durchgeführt wurde die historische Operation vom schwedischen Chirurgen Åke Senning, der seit 1961 Klinikdirektor am Kantonsspital Zürich war, dem heutigen Universitätsspital Zürich.
Technisch kein Problem
Marko Turina war damals Assistenzarzt am Kantonsspital und assistierte bei der Entnahme des Spenderherzens. 50 Jahre später beschreibt er die Situation im Saal zwar als «gespannt», der Eingriff als solches sei jedoch nicht kompliziert.
Obwohl die Technik einfach war und die Patienten sich in der Regel gut vom Eingriff erholten, waren die ersten Herztransplantationen kein Erfolg. Die Operierten starben meist innert weniger Wochen nach dem Eingriff.
Der Grund: Das Immunsystem der Patienten akzeptierte das fremde Organ nicht und stiess es ab. So wurden bald darauf alle Herztransplantationen eingestellt.
Erst die Entwicklung eines Medikaments in den 70-er Jahren verhalf der Methode zum Erfolg: «Sandimmun» der Schweizer Firma Sandoz. Der Wirkstoff des Medikaments wird aus Pilzen gewonnen und unterdrückt die Immunreaktion des frisch transplantierten Patienten. So wird das fremde Organ nicht mehr abgestossen und kann seiner Aufgabe im neuen Körper nachkommen.
Es sind genau diese Pillen, die Renata Isenschmid täglich daran erinnern, dass sie mit einem fremden Herz lebt: «Ich denke eigentlich jeden Tag an mein Spenderherz. Sicher am Morgen, wenn ich die Tabletten nehmen muss».
Medizinisch brillant, moralisch fragwürdig
Mit der Einführung von Cyclosporin im Jahr 1983 war es aus medizinischer Sicht kein Problem mehr, Herzen erfolgreich zu transplantieren. Die Debatte um die Organisation von Spenderherzen blieb indes bis heute schwierig.
Das dürfte nicht zuletzt am Umgang der Ärzte mit dem Spender vor 50 Jahren zu tun haben.
Denn auf die medizinische Sensationsmeldung der ersten Schweizer Herztransplantation folgte nur wenige Stunden später ein moralischer Skandal: Journalisten hatten den Namen des Spenders herausgefunden und auch kurzerhand veröffentlicht. So erfuhren die Angehörigen des Verstorbenen erst durch die Medien von der Herzentnahme bei ihrem Sohn.
Die Empörung über das rücksichtslose Vorgehen der Ärzte war gross. Die Familie reichte Klage ein. Dabei hätten sie einem Eingriff durchaus zugestimmt, wenn sie rechtzeitig darüber informiert worden wären, erklärte der Vater des unfreiwilligen Spenders damals.
Das Recht aufs Herz auf dem Prüfstand
Für das Schweizer Fernsehen ordnete damals Rechtsprofessor Hans Hinderling die Anklage der Familie ein. Dabei ergriff er aus heutiger Sicht überraschend die Partei der Ärzte und rechtfertigte deren Entscheid, das Herz zu entnehmen. Eine Rechtsauffassung, die nach jahrelangem Rechtsstreit schliesslich auch das Bundesgericht in seinem Urteil vertrat.
Heute, 50 Jahre später, ist die Rechtslage in der Schweiz eine grundlegend andere: Herzen können nicht mehr nach Gutdünken der Ärzte einem Verstorbenen entnommen werden – die Entnahme von Organen ist seit 2004 im Nationalen Transplantationsgesetz klar geregelt. Wer zu Lebzeiten einer Entnahme nicht explizit zustimmt, bleibt nach dem Tode unangetastet.
Die Chance auf ein zweites Leben
Renata Isenschmid ist klar: Hätte ihr Spender oder ihre Spenderin sich nicht zustimmend zu einer Entnahme geäussert, wäre sie heute wahrscheinlich nicht am Leben.
«Ich empfinde eine extreme Dankbarkeit. Es ist ein Geschenk – eine Chance auf ein zweites Leben.» So denke sie heute noch oft an die Person, und das werde auch ein Leben lang so bleiben.