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Alternativen zu Medikamenten Den Diabetes in die eigene Hand nehmen

Das Heimtückische am Diabetes: Er tut nicht weh, wird oft erst nach Jahren diagnostiziert und führt unbehandelt zu massiven Langzeitschäden. Typ-2-Diabetiker können ihre Zuckerwerte aber durchaus in den Griff bekommen und so die Prognose quasi in die eigene Hand nehmen.

In der Schweiz leben eine halbe Million Menschen mit Diabetes. Bei Gesunden steuert das Bauchspeicheldrüsenhormon Insulin die Zuckermenge im Blut. Das Insulin öffnet dem Zucker den Weg aus dem Blut in die Zellen. Bei Typ-2-Diabetikern wirkt das Insulin nicht ausreichend, die Zellen nehmen den Zucker aus dem Blut nur teilweise, also ungenügend, auf. Das Resultat: Die Zuckerwerte schwanken und sind oft zu hoch.

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Über die Jahre greift der Zucker Blutgefässe und Nerven an. Typ-2-Diabetiker haben bei langjährigen, schlechten Blutzuckerwerten deshalb ein erhöhtes Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall, leiden an Durchblutungsstörungen in den Füssen und schlecht heilenden Wunden und sind gefährdet, durch Netzhautschädigungen zu erblinden.

Mit Bewegung gegen den Diabetes

Kantonsspital Aarau, Montagmorgen um halb neun. Es regnet in Strömen. Und obwohl wir mitten im Frühling stecken, zeigt das Thermometer bescheidene zehn Grad. Wer bei diesen Bedingungen freiwillig einen Fuss vor die Tür setzt, hat offensichtlich ein klares Ziel vor Augen.

Sieben Personen, eingehüllt in Regenmäntel und bewaffnet mit Walking-Stöcken, marschieren in flottem Tempo durch die Strässchen im und um das Kantonsspital Aarau. Es sind fünf Frauen und zwei Männer der hiesigen DIAfit-Gruppe. Sie alle leiden an der chronischen Stoffwechselerkrankung Diabetes und nehmen am 12-wöchigen Diabetes-Rehabilitationsprogramm teil. «Ziel des Programms ist es, die Betroffenen wieder zu sportlichen Aktivitäten und zu einer gesünderen Ernährungsweise animieren zu können», erklärt der Mitinitiator des Projekts und Herzspezialist Hugo Saner. «Die Gewichtsreduktion hat nicht erste Priorität. Ich sage immer, lieber ‹Fit and fat› als ‹Unfit and slim›.» Eine gute Fitness ist langfristig wichtiger, als möglichst schlank zu sein.» ist Hugo Saner überzeugt.

Lifestyle-Pandemie Diabetes

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Heute wird der Typ-2-Diabetes bereits als Pandemie bezeichnet. Unser ungesunder westlicher Lebensstil gilt als Ursache für die starke Zunahme der Betroffenen.

Hugo Saner ist überzeugt, dass die Erkrankung noch immer zu wenig ernst genommen wird: «Oft höre ich von Patienten, dass man ihnen gesagt hat, sie hätten ‹ein bisschen Zucker›. Ein bisschen Zucker gibt es nicht! Das ist Verharmlosung.» Je eher man gegen die Ursachen angehen würde, desto besser stünden nämlich auch die Chancen, keine massiven Langzeitschäden zu «kassieren».

Als Hauptrisikofaktoren gelten Bewegungsmangel und die Vorliebe für eine Ernährung mit vielen Kohlehydraten mit der Folge von Übergewicht. Der Vorteil dabei ist, dass jedem die Möglichkeit bleibt, das Steuer selbst herum zu reissen.

Gesunder Gruppendruck mit DIAfit

Und gerade das Training in der Gruppe verpflichtet. Die Walking-Stunde wegen schlechtem Wetter zu schwänzen, kommt für Annelise Stampfli nicht in Frage. Bei einer Routineuntersuchung im letzten Jahr wurden bei ihr zu hohe Blutzuckerwerte gemessen. Ein Zufallsbefund, wie er bei Diabetikern oft vorkommt, da die Krankheit Jahre lang keine Beschwerden macht und nicht weh tut.

«Im Herbst wurde ich pensioniert und mir war durch die überraschende Diagnose schlagartig klar geworden, dass ich meinen nächsten Lebensabschnitt unbedingt möglichst lange gesund geniessen möchte», erzählt Annelise Stampfli, «schon lange hatte ich mich ja darauf gefreut.» Dreimal pro Woche trifft sie sich nun zum Sport in der Gruppe. Und zu ihrer Lieblings-Nascherei, der Schokolade, greift sie nur noch selten.

Ein bisschen stolz berichtet sie von ersten Erfolgen: «In vier Monaten habe ich durch die Ernährungsumstellung und den regelmässigen Sport zehn Kilo abgenommen, ich fühle mich besser und konnte die Medikamente reduzieren. Mein Arzt meint, die Blutzuckerwerte seien nun akzeptabel.» Eine Heilung gibt es in dem Sinne aber nicht. Wer in alte Muster zurückfällt, verschlechtert gleichzeitig auch die Erfolgsaussichten und die Blutzuckerwerte.

Für Typ-2-Diabetiker braucht es lebenslänglich viel Disziplin und Motivation als treibende Faktoren. Bei Franziska Reuss half die Familiengeschichte: «Ich habe hautnah miterlebt, wie einem Verwandten erst die Zehen, dann der Fuss und später das ganze Bein abgenommen werden musste. Das hat mir Angst gemacht.» Bilder, die die 59-Jährige nicht vergessen hat.

«Zwei Drittel der DIAfit-Teilnehmer profitieren längerfristig durch das Programm von besseren Blutzucker- und Cholesterinwerten, von Gewichtsreduktion und einer gesteigerten Leistungsfähigkeit.» zieht Hugo Saner nach der Auswertung von rund 200 Teilnehmern Bilanz, «Je früher der Diabetes erkannt wird und je eher der Lebensstil verändert wird, desto besser stehen natürlich die Chancen, langfristig gesund zu bleiben.» Einen wesentlichen Teil kann man dazu selbst leisten.

Diabetes-Diät ist nicht sinnvoll, Mass halten schon

Versteckte Energie

Wo verstecken sich die Kohlenhydrate?

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Zu den Speisen, die den Blutzuckerspiegel steigen lassen, weil sie viel Energie in Form von Zucker liefern, gehören alle Lebensmittel aus Getreide wie Brot, Teigwaren, Kuchen und Gebäck sowie Obst, Milch und Joghurt. Fett, Eiweiss und Fasern hingegen haben keinen Einfluss auf den Blutzucker.

Menschen mit Diabetes dürfen fast alles essen – eine eigentliche Diabetes-Diät gilt als überholt. Wichtig ist, dass sie gesund und ausgewogen essen. So sollte wie bei Gesunden viel Gemüse und Salat auf dem Speiseplan stehen. Auch Obst und Vollkornprodukte, mageres Fleisch und fettarmer Fisch dürfen nicht fehlen – so bekommt der Körper alle wichtigen Nährstoffe, die er braucht.

Für übergewichtige Menschen mit Typ-2-Diabetes ist eine Gewichtsreduktion durch Kalorieneinsparung bei den Fetten vorrangiges Ziel zur Verbesserung der Stoffwechsellage.

Weiter kann ein sorgfältiger Blick und teilweiser Verzicht auf kohlenhydratreiche Lebensmittel helfen, die Blutzuckerwerte in Schach zu halten. Denn Kohlenhydrate dienen uns als Energiespender in Form von Traubenzucker und beeinflussen den Blutzuckerspiegel.

Für viele überraschend: Kohlenhydrate findet man nicht nur da, wo man sie vermutet (also zum Beispiel in Zuckerwürfeln), sondern auch in Müsli oder Tomatenketchup. Viele Kohlenhydrate sind in Obst enthalten, davon am meisten in Bananen und am wenigsten in Beeren. Und auch in Trockenfrüchten wie Litschi, Kaki und Granatäpfeln finden sich viele Kohlenhydrate. Spezielle Tabellen helfen den Betroffenen dabei, «gute» von eher «schlechten» Nahrungsmitteln zu unterscheiden.

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