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Alzheimerforschung «Alzheimer beginnt lange, bevor die Patienten etwas merken»

Alzheimerforscher Mathias Jucker über Hoffnung, über frühe Diagnosen per Bluttest, Menschen mit genetisch bedingtem Alzheimer und die Überzeugung auf dem richtigen Weg zu sein.

Mathias Jucker

Neurowissenschaftler

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Der Schweizer Neurowissenschaftler Mathias Jucker erforscht seit Jahrzehnten die Alzheimer-Krankheit und das alternde Gehirn. Er leitet die Abteilung für Zellbiologie neurologischer Erkrankungen am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung in Tübingen. Seine Abteilung gehört zum Deutschen Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen, DZNE.

Eine Alzheimer-Studie nach der anderen scheitert. Was läuft da schief?

Die Studien, die heute fertig werden, wurden vor 10 Jahren konzipiert. Seitdem ist viel passiert. Wir glauben heute, dass erste Schäden im Gehirn sehr früh auftreten: 10, 20 oder mehr Jahre vor den ersten Symptomen. Die Erkrankung beginnt also lange, bevor die Patienten etwas merken.

Wenn Symptome da sind, ist es wahrscheinlich zu spät, um den Krankheitsverlauf zu bremsen. Eine Chance haben wir nur, wenn wir die Therapie früher beginnen.

Dafür müsste man Alzheimer früher erkennen. Wie soll das gehen, bevor Symptome da sind?

Wir brauchen Frühtests. Wir haben in Tübingen zusammen mit Kollegen aus der Schweiz und den USA einen Bluttest entwickelt. Er zeigt den Verfall im Gehirn an, bis zu 16 Jahre, bevor die Patienten etwas von der Erkrankung merken.

Was nutzt das, wenn es keine Therapie gibt?

Dem einzelnen Patienten bringt das heute wenig. Aber das wird schlagartig anders, sobald wir wirksame Therapien haben. Wir Forscher können jetzt anfangen, Medikamente, die es schon gibt, neu zu testen, also den Patienten zu geben, die zwar noch keine Alzheimer-Demenz haben, aber – laut Bluttest – darauf zusteuern. Wir hoffen, dass sie dann besser wirken. Mit dem Bluttest können wir im Lauf der Therapie schauen, ob sie wirkt oder nicht.

Sie glauben, dass die Medikamente, die heute in klinischen Tests versagen, doch etwas taugen?

Ich glaube, dass unsere Erkenntnisse über die Krankheitsprozesse im Gehirn grundsätzlich richtig sind. Unser Wissen über die Rolle schädlicher Proteine ist solide.

Die Medikamente, die wir entwickelt haben, greifen dort ein. Nur kommen sie, so wie wir sie bisher einsetzen, wohl zu spät.

Was macht sie so sicher?

Wir haben in drei Jahrzehnten Forschung viel gelernt. Extrem wichtig waren Menschen, die eine frühe, genetisch bedingte Form von Alzheimer bekommen. Sie erkranken mit fast hundertprozentiger Sicherheit. Viele von ihnen nehmen an unserer Studie teil, und wir sind ihnen unendlich dankbar.

Weil wir wissen, dass sie die Krankheit bekommen werden, können wir sie untersuchen, bevor Symptome auftreten, und beobachten, wie die Krankheit sich entwickelt. Wir wissen, welche Gene diese Menschen so anfällig machen, und was diese Gene im Gehirn bewirken. Diese Patienten machen zwar nur weniger als 1 Prozent aller Alzheimer-Patienten aus. Aber Vieles, was wir von ihnen lernen, gilt auch für die restlichen 99 Prozent.

Wie lange müssen wir noch auf ein wirksames Alzheimer-Medikament warten?

Die Frage kann ich Ihnen nicht beantworten. Was mich aber fasziniert ist, dass im Moment alle, die in der Forschung wichtig sind, zusammenarbeiten: Pharmaunternehmen, Universitäten, öffentliche Forschungsinstitute und Stiftungen. Alle hoffen auf einen ersten, kleinen Erfolg.

Wer dabei der Erste ist, der den Durchbruch feiern darf, ist nicht so wichtig. Wir sind in der Alzheimer-Forschung jetzt so weit, dass jeder dem anderen gönnt, dass er diesen ersten, kleinen Erfolg hat. Damit es weitergeht.

Das Gespräch führte Katrin Zöfel.

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