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Ansteckung trotz Distanz Lüftungen unter Corona-Verdacht

Klimageräte stehen zunehmend im Verdacht, bei der Virus-Verbreitung eine Rolle zu spielen. Wie real ist die Gefahr?

Zwei Meter Abstand sorgen für sichere Distanz. So die Regel. Doch selbst dann ist man nicht absolut vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus gefeit. Ein entsprechender Fall aus China sorgt in der Fachwelt für Diskussionen:

Guangzhou am 24. Januar. Eine tags zuvor aus Wuhan angereiste Familie trifft sich in einem Restaurant zum Mittagessen. An den beiden Nebentischen: Zwei weitere Familien.

Noch am selben Tag treten bei einem Familienmitglied aus Wuhan Fieber und Husten auf. In den folgenden 12 Tagen werden dann auch fünf Personen aus den beiden Familien an den Nachbartischen und vier weitere aus Wuhan positiv auf Covid-19 getestet.

Die drei Familien hielten sich zwar im selben Raum auf, doch für eine klassische Tröpfcheninfektion war der Abstand zwischen den Tischen zu gross. Da sie aber alle im Luftstrom derselben Klimaanlage sassen, keimte bald ein Verdacht: Könnte die Klimaanlage infektiöse Tröpfchen viel weiter als üblich transportiert haben?

Für Hugo Sax, den Leiter der Spitalhygiene am Universitätsspital Zürich, ist das durchaus möglich. Er sieht das aber als Ausnahmefall, der nicht überbewertet werden darf. «Wenn man Erklärungen für solche Einzelfälle sucht, muss man immer auch die epidemiologischen Daten im Auge haben.»

Frage man sich dann, ob es logisch sei, dass die Aerosolübertragung beim Coronavirus eine wesentliche Rolle spiele, müsse man sagen: Nein. «Sonst gäbe es viel mehr Fälle.»

Das BAG informiert ähnlich und legt sich auf seiner Website fest: «Eine Übertragung durch Lüftungs- oder Klimaanlagen ist unwahrscheinlich.»

Der Schweizerische Gebäudetechnikverband Suissetec geht trotzdem auf Nummer Sicher und hat kürzlich einen Lüftungs-Leitfaden für die Schweiz herausgegeben. Mit konkreten Empfehlungen wie regelmässige Belüftung mit Fenstern sicherstellen oder Umschalten von Lüftungsgeräten mit Umluft auf 100 Prozent Aussenluft.

Das Virus in der Luft erkennen

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Legende: srf

An der ETH Zürich arbeitet ein Team an einem Sensor, der Coronaviren in der Raumluft erkennen soll.

Unter Hochdruck wurde seit Anfang des Jahres ein Prototyp entwickelt. Mit Lasertechnik und optischen Sensoren erkennt das System, wenn in einer Probe Sars-Cov-2-Viren enthalten sind.

«Damit könnten wir die Anzahl Viren in der Luft direkt messen», erklärt Sensoringenieur Jean Schmitt. Das würde beispielsweise das Erkennen vor gefährlich ansteigenden Virenkonzentrationen erlauben – und das Ergreifen entsprechender Massnahmen, wenn ein gewisses Niveau erreicht ist.

Auch wenn der Sensor in Rekordzeit entwickelt wurde: Vorerst funktioniert das Ganze nur im Labor und mit grossem technischem Aufwand. Bis zum serienfähigen Sensor, der etwa in Lüftungen vor dem Virus warnen könnte, ist es noch ein weiter Weg.

Den Leitfaden verantwortet Manuel Rigozzi, im Verband zuständig für den Bereich Lüftungen. Man will mit diesem Leitfaden niemanden verunsichern, und Rigozzi ist sich auch bewusst, dass die Empfehlungen auf einer dünnen Datenlage basieren. Aber es sei klar, dass sich mit wenigen, einfachen technische Massnahmen relativ viel Risikominderung erzielen lasse.

«Da tun wir doch lieber etwas, das rückblickend vielleicht nichts bringen wird, als untätig zu bleiben und in sechs Monaten zu sagen ‹hätten wir bloss etwas getan!›.»

Die Empfehlungen des Verbands fordern besonders die Betreiber grosser Lüftungsanlagen. Doch auch im kleineren Rahmen lassen sie sich nicht immer einfach umsetzen – speziell, wenn Umluftkühlgeräte ohne Frischluftzufuhr im Einsatz sind.

«Solche Geräte hat es an vielen Orten. In Restaurants, Läden, im Bus, Tram oder alten Zügen», weiss Christian Stäuble, Fachexperte Lüftungen am SRF-Standort Leutschenbach. «Sie sind populär, weil sie relativ günstig sind.»

Für Suisstec ein klarer Fall: Alle abschalten. Und ebenso auf mobile Ventilatoren verzichten, weil auch diese potenziell das Virus verteilen.

Für den Infektiologen Hugo Sax macht dies grundsätzlich Sinn. Zwar zeige die allgemeine Epidemiologie, dass die Luftübertragung über weite Distanzen keine wesentliche Rolle spiele, «aber wenn klar ist, dass die Luft an einem Ort über längere Zeit gerichtet in eine Richtung fliesst, sollte man diese Situation doch ändern.»

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Puls, 04.05.2020, 21:05 Uhr

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