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Antibiotikaresistenz Bakteriophagen sei Dank: Patient überlebt in Genf

Die alte Alternative zu Antibiotika hat vor kurzem wieder ein Leben gerettet. Das weckt neue Hoffnungen im Kampf gegen die zunehmenden Antibiotikaresistenzen.

Seit 2019 musste der 41-jährige Patient K* wiederholt ins Universitätsspital Genf und blieb zuletzt während sieben Monaten dauerhaft hospitalisiert. Diagnose: chronische Lungeninfektion. Keine Antibiotikatherapie brachte Besserung.

Kein Einzelfall: Antibiotikaresistenzen häufen sich. Gerade bei längerer oder wiederholter Einnahme von Antibiotika entwickeln Bakterien Resistenzen. So auch im Patient K: Die Verursacher seiner Infektion – Bakterien der Art Pseudomonas aeruginosa – waren gegen verschiedene Antibiotika resistent, die Therapiemöglichkeiten ausgeschöpft.

Therapie bisher nicht zugelassen

Da die Antibiotikatherapie erfolglos blieb, entschied sich das Team des Universitätsspitals Genf und der Universität Genf für eine ungewöhnliche Therapie mit Bakteriophagen. Für ihre antibakterielle Wirkung sind Phagen (vom griechischen phagein für «fressen») seit 1917 bekannt. In der Schweiz bedarf ihre Anwendung einer Sonderbewilligung.

Das Virus, das Bakterien befällt

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Bakteriophagen sind Viren, die bevorzugt Bakterien infizieren. Anders als etwa das Coronavirus befällt es nicht Menschen, sondern ausschliesslich Mikroorganismen. Es dringt in diese ein, um sich dort zu vermehren.  

Unterschieden wird zwischen temperenten und lytischen Phagen: Während temperente Phagen die von ihnen befallenen Bakterien meist leben lassen, töten lytische Phagen diese ab – und werden so zu regelrechten Bakterienfressern.

Lytische Phagen vervielfachen sich innerhalb des befallenen Bakteriums. Anschliessend lösen die neu gebildeten Phagen die Bakterienzellwand auf, werden dabei freigesetzt und infizieren weitere Bakterien.

Besonders diese lytischen Phagen bieten sich für die Anwendung gegen bakterielle Infektionen an. 

Um Patient K mit Phagen zu behandeln, musste nebst der Bewilligung auch erst einmal ein passender Phage her. Denn Phagen wirken höchst spezifisch: Sie töten nur einzelne Bakterienarten oder sogar nur deren Unterarten ab.

Auf der Suche nach einem geeigneten Phagen isolierte das Genfer Behandlungsteam zunächst das Bakterium Pseudomonas aeruginosa vom Patienten. Es testete, ob Phagen aus dem eigenen Labor das Bakterium angreifen. Ein schwieriges Unterfangen: Weder im eigenen noch in Brüssels Labor war der richtige Phage dabei. Schliesslich identifizierte die Yale University, USA, einen Phagen, der das Bakterium zumindest im Labor abtötet.

Seine Wirkung musste der US-Phage nun im Körper beweisen. Um an den Infektionsort, die Lunge, zu gelangen, atmete der Patient K die Phagen als Aerosol ein. Mit Erfolg: Innerhalb weniger Tage verbesserte sich sein Zustand deutlich.

Grosser Durchbruch?

Die Resultate, die das Genfer Team im Fachmagazin «Nature Communications» publiziert , zeigen: Während sich die Phagen im Körper des Patienten vermehren, sinkt die Zahl der Bakterien. «Ein starkes Zeichen dafür, dass die Phagen die Krankheitserreger erfolgreich abtöten», bestätigt Thomas Häusler, der sich seit Jahren mit Phagen befasst und auch einen Ratgeber zur Methode veröffentlicht hat .

«Die Publikation aus Genf ist zwar eine Schweizer Premiere, doch weltweit wurden bereits zahlreiche solcher Fallstudien dokumentiert», ordnet Häusler ein. Zugelassen ist die Phagentherapie heute dennoch nur in wenigen Ländern Osteuropas und der ehemaligen Sowjetunion.

Für eine Zulassung in der Schweiz reicht der Genfer Fallbericht nicht. Dafür bedarf es randomisierter klinischer Studien, welche die Wirksamkeit der Phagen zeigen. Doch an diesen fehlt es.

Glücksfall für die Forschung

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Der Fallbericht aus Genf sei «ein wichtiger Schritt» auf dem Weg von Einzelanwendungen zum breiteren Einsatz der Phagentherapie, so Alexander Harms. Er forscht an der ETH Zürich zur Molekularbiologie von Bakteriophagen. Das Genfer Team dokumentiere zum ersten Mal die Vermehrung der Phagen bei zeitgleicher Verringerung der Bakterienzahl im Patienten. «Diese Beobachtung kann bei einem Behandlungserfolg zwar angenommen werden. So gezeigt wurde sie bis jetzt aber nur in Laborexperimenten, nicht im Patienten», präzisiert Harms.

Über die Sicherheit der Phagentherapie ist sich die Studienlage einig: Nebenwirkungen gibt es kaum. Anders sieht es bei der Wirksamkeit aus. Nur in zwei von sieben Studien seit 2000 ergänzen Phagen die konventionelle Antibiotikatherapie erfolgreich. Laut Häusler liegen die ernüchternden Ergebnisse nicht zuletzt an technischen Fehlern in der Anwendung. Was einmal mehr unterstreicht, wie herausfordernd der therapeutische Einsatz von Phagen ist.

*Name der Redaktion bekannt

Wissenschaftsmagazin, 01.07.2023, 12:40 Uhr

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