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Antidepressiva in der Kritik Nebenwirkungen gut möglich

Antidepressiva haben teilweise massive Nebenwirkungen. Die Alternative: Gesprächstherapie.

Antidepressiva nützen kaum mehr als Placebo. Das hat kürzlich eine neue Studie des Nordic Cochrane Centers ergeben. Fast wahrscheinlicher als eine positive Wirkung sind unerwünschte Nebenwirkungen. Das hat auch Psychologe Michael Hengarnter beobachtet: «Sie treten im Vergleich zu Placebo häufiger auf als der antidepressive Effekt.»

Die Nebenwirkungen sind teilweise erheblich: Dazu gehören sexuelle Funktionsstörungen, Übelkeit, Erbrechen, innere Unruhe oder Schlafstörungen. Nicht nur das, die Nebenwirkungen klingen manchmal nicht ab, wenn man die Medikamente absetzt. Die Einschränkungen können sehr lange Zeit nachwirken oder auch irreversibel sein.

Hinzu kommt ein weiteres Problem: Wer die Antidepressiva absetzt, muss mit heftigen Entzugserscheinungen rechnen. Diese können sich gleich stark oder noch stärker äussern wie die ursprüngliche Depression.

Die Ursache beseitigen Antidepressiva nicht

Auch Daniel Hell, Psychiater und Psychotherapeut kennt Patienten, die an Nebenwirkungen leiden. «Das Problem ist, dass man die Nebenwirkungsrate unterschätzt hat. Vor allem die Entzugssymptome hat man nicht ins Zentrum gestellt.»

Ursprünglich habe man geglaubt, Antidepressiva beseitigten die Ursache einer Depression. Allerdings bestätigte die neurobiologische Forschung dies nicht. Antidepressiva können nur gewisse Symptome lindern. «Sie helfen, sich emotional etwas zu distanzieren», sagt Daniel Hell.

Hausärzte verschreiben einen grossen Teil der Antidepressiva

Trotz der massiven und einschneidenden Nebenwirkungen gehören Antidepressiva in der Schweiz zu den am meisten verschriebenen Medikamenten. Über 700'000 Menschen nehmen sie regelmässig ein.

Einen grossen Teil der Antidepressiva verschreiben Hausärzte. Auch in der Gemeinschaftspraxis von Hausarzt Peter Wild suchen täglich ein bis zwei Patientinnen mit depressiven Verstimmungen Hilfe. Er bestreitet nicht, dass heute zu schnell zu Antidepressiva gegriffen wird, auch von Hausärzten. «Überall wo es um die Behandlung von Depressionen geht, gibt man schnell Medikamente ab.»

Zwei Wochen emotionale Verstimmung reichen aus

Weshalb ist für Peter Wild klar: «Patienten haben häufig den Wunsch nach einem Medikament.» Und in der heutigen Kultur, in der man immer gut drauf sei, sei es für viele Patienten schwierig, wenn sie sich über zwei, drei Wochen nicht mehr wohl fühlen.

Das spiegelt sich etwa auch in den Depressions-Richtlinien des Ärztenetzwerkes Medix wieder. Bereits zwei Wochen andauernde emotionale Verstimmungen reichen je nach Symptomen aus, um eine Depression zu diagnostizieren. Und bei mittelschweren Depressionen darf der Arzt laut den Richtlinien Antidepressiva verschreiben, wenn der Patient das wünscht.

Für Peter Wild ist das eine zu kurze Phase. Er bietet zuerst für einen Monat halbstündige Gespräche an, einmal pro Woche. Oft genüge das, um dem Patienten zu helfen, selber mit der Verstimmung fertig zu werden. Erst wenn das nicht fruchtet, setzt er ein Antidepressivum ein.

Gesprächstherapie genügt oftmals

Auch Daniel Hell ist zurückhaltend, wenn es um das verschreiben von Antidepressiva geht. Denn wer an einer leichten Depression leidet, hat gute Chancen auf Selbstheilung. Voraussetzung, ist aber eine fachliche Begleitung. Also mit Gesprächstherapie.

Allerdings gibt es gerade für die gut wirkende Alternative zu wenig Plätze. Nicht zuletzt auch, weil Depressionen so häufig vorkommen. Eine gemäss Hell gute Ausweichmöglichkeit: Statt eine ärztliche, eine nichtärztliche Psychotherapie. Denn Psychiater und Psychologe bieten laut Daniel Hell eine gleichwertige Therapie an.

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