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Dauerstress und Arbeitsdruck: Burnout
Aus Kontext vom 12.11.2021. Bild: Unsplash/ Isabella and Zsa Fischer
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Arbeiten bis zum Zusammenbruch Der Kampf gegen das Burnout ist der Kampf für ein neues Leben

Eines Morgens sass Urs Meier (49) weinend auf dem Bett und wollte nicht mehr zur Arbeit. Es war genug.

20 Jahre arbeitete er in der Kommunikation, zuerst bei einer Filmfirma, dann lange bei Coop, die letzten drei Jahre als Pressechef. 2019 erlitt Urs Meier ein Burnout, das sich, sagt er, «über Monate angekündigt hatte».

«Niemand geht nach den Ferien extrem gerne wieder arbeiten. Vielleicht hat man am Morgen etwas Mühe. Ich habe plötzlich gemerkt, dass es mehr ist als das.» Die aufgestaute Erschöpfung war zu gross. Der Punkt war erreicht: Er wollte nicht mehr ins Büro. Burnout ist eine arbeitsbedingte Stressfolgestörung.

Wie erkenne ich ein Burnout?

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Zu den psychischen Symptomen gehören: Erschöpfung, auch subjektiv empfundene verringerte Leistungsfähigkeit, Konzentrations- und Gedächtnisprobleme, Entscheidungsschwäche, innere Leere, verringerte Initiative und Phantasie, Selbstzweifel, Traurigkeit, Depressionen, Gereiztheit, Aggression, ein Übermass von negativen Gedanken, Zynismus.


Körperliche Auswirkungen: Schlafstörungen, eine erhöhte Anfälligkeit für Infektionen, Muskelverspannungen, Rücken- und Kopfschmerzen, erhöhter Blutdruck, Herzklopfen, Engegefühl im Brustbereich, Probleme des Verdauungstrakts, sexuelle Probleme, starke Gewichtszu- oder -abnahme wegen veränderter Essgewohnheiten, verstärkter Nikotin-, Alkohol- oder Koffein-Konsum.

Meier realisierte, dass er neben sich stand. Freunde und Kollegen fragten ihn, warum er so gereizt sei.

«Ich gab jahrelang Vollgas, dann kehrte es sich», schaut er zurück. Ständig war er erreichbar, ständig scannte er die Medien. Er schlief nicht mehr gut, war müde, traurig und leer. In seiner Arbeit sah er keinen Sinn mehr, weil die Medien die Themen in Höchstgeschwindigkeit verfeuern, so dass die heutigen Schlagzeilen morgen niemanden mehr interessieren.

In der Brauerei: Urs Meier stützt seine Arme auf ein Fass und lächelt.
Legende: Eine neue Leidenschaft Urs Meier hat dank den Veränderungen in seinem Leben an Lebensqualität gewonnen. Nun führt er eine kleine Bierbrauerei. ZVG

Dauernd in die Aufregungsmaschinerie eingespannt, spürte er ohne Unterbruch Stress und Druck – auch von sich selbst, weil er die Arbeit sehr ernst nahm. Gleichzeitig begann er sich geistig tödlich zu langweilen.

Zusammenbruch

Barbara Hochstrasser, Psychiaterin und Psychotherapeutin, Präsidentin des Schweizer Netzwerks für Burnout, unterscheidet zwei Verläufe der Erschöpfungsdepression:

• Leute, die das schon lange merken, längst im Burnout drin sind und irgendwann zusammenbrechen.

• Andere machen immer weiter und schieben mit dem Adrenalin alles weg und plötzlich erleiden sie einen Zusammenbruch.

In städtischen Dienstleistungsgesellschaften erlebten etwa 15 bis 20 Prozent der Berufstätigen einmal im Leben ein Burnout, sagt Barbara Hochstrasser. «Es kann alle treffen.» Frauen treffe es so häufig wie Männer, Kader gleich oft wie normale Mitarbeiter. Gehäuft allerdings tritt der Erschöpfungszustand bei Menschen unter 30 und solchen zwischen 40 und 50 auf.

Es gibt klare Risikofaktoren

Ständige Erreichbarkeit, nicht mehr abschalten können, zu viel Arbeit, unklare Hierarchien. Die Psychiaterin nennt Risikofaktoren in der Arbeitswelt: «Zum Beispiel die Arbeitslast, mangelnde Autonomie und Wertschätzung, fehlende Fairness und Wertekonflikte.»

Warum verursacht Stress ein Burnout?

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Schon beim Gedanken an den übervollen Terminkalender oder die unangenehme Besprechung beginnt ein mandelgrosser Bereich in unserem Grosshirn wild zu arbeiten: die Amygdala.


Die Amygdala sorgt schon seit Urzeiten dafür, dass wir bei Gefahr schnell reagieren können: dank ihr setzt unsere Nebenniere Stresshormone frei, vor allem Kortisol und Adrenalin. Dadurch steigt der Blutdruck und die Bronchien erweitern sich, damit mehr Sauerstoff in die Muskeln und das Gehirn gelangen kann. Gleichzeitig werden das Immunsystem und das Schmerzempfinden kurzzeitig unterdrückt.


Dieses System ist perfekt, um auf kurzfristigen Stress zu reagieren. Wird Kortisol aber dauerhaft ausgeschüttet, macht es krank: Fettleibigkeit, Bluthochdruck, Diabetes oder Depression sind typische Folgen. Burnout-Erkrankte sind schliesslich überhaupt nicht mehr in der Lage, ihren Körper herunterzufahren. Bis er ganz abschaltet.

Solche Zustände können den Selbstwert und die Entfaltungsmöglichkeiten der Mitarbeitenden verletzen. Aber auch psychische Veranlagungen können Burnouts begünstigen, sagt Hochstrasser: Besonders gefährdet seien Perfektionisten oder unsichere Personen und Menschen, die bereits zuvor unter Depressionen litten.

Was tun?

Zuerst gilt es ein Burnout überhaupt zu erkennen – und sich früh an eine Fachperson zu wenden. Warnzeichen sind, «wenn wir es nicht mehr schaffen, uns in einem Wochenende zu erholen, und immer erschöpft sind», sagt Hochstrasser. «Oder wenn wir wegen der Arbeit weinen oder starke Emotionen haben wie Wut.» Auch Schlaf- und Konzentrationsstörungen sind typisch. Das alles drückt Stressbelastung aus.

Niemand sagt mir mehr, was ich tun muss.
Autor: Urs Meier Burnout-Betroffener

Urs Meier hat Hilfe geholt. Nach vielen Gesprächen mit dem Arzt, mit seiner Frau und mit Freunden kündigte er seine Stelle. Er übernahm eine kleine Bierbrauerei im Solothurner Jura, verdient zwar jetzt viel weniger und arbeitet mehr, hat dafür aber deutlich an Lebensqualität gewonnen, vor allem an Zeit. «Ich kann meinen Tag selbst einteilen. Niemand sagt mir mehr, was ich tun muss.»

Nicht immer gelingt es, das Burnout innert weniger Monate zu überwinden. Erholung und Therapien, die Suche nach einer neuen Stelle können viel mehr Zeit benötigen. Denn es gilt, das Leben zu ändern.

Kontext, 12.11.2021, 06:00 Uhr

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