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Psyche und Herzoperationen Psychokardiologie: Wie Herzprobleme und Psyche zusammenhängen

Etwa jeder fünfte Mensch, der wegen eines Herzinfarktes im Spital behandelt wird, entwickelt Angststörungen. Doch in den meisten Spitälern fehlen spezifische psychologische Beratungsangebote.

Wenn Silvana Caminada ganz still sitzt, kommt sie hoch, die Angst. «Dann hört man eher aufs Herz» , sagt Caminada. «Es kann doch nicht sein, dass ich nicht ruhig sitzen kann ohne Angst. Das ist nicht gesund.» Silvana Caminada hat gerade eine Herzoperation hinter sich.

Die Psychologin lebt schon seit Geburt mit Herzrhythmusstörungen, hat diese eigentlich im Griff. Doch als sie im Juni eines Morgens erwachte, stimmte etwas nicht.

Traumatisches Erlebnis

Sie stand auf, machte ein paar Rückenübungen und plötzlich begann ihr Herz wie verrückt zu schlagen. Da rief sie den Notfall und raste mit der Ambulanz ins Spital. «Ich lag da, es ging mir schlecht. Ich dachte: Vielleicht sterbe ich jetzt.» Ein traumatisches Erlebnis.

Auch Markus Vollack hat ein krankes Herz und steht kurz vor einer Herzoperation. Vordergründig wirkt er zwar sportlich. Doch schwimmen kann er nur langsam. «Wenn ich länger schwimme als eine Viertelstunde, zwanzig Minuten, tut es schon weh.»

Seit dem Frühsommer weiss der 54-jährige Elektroingenieur, warum: Eine undichte Herzklappe. «Das führt mittelfristig zu einer Herzschwäche und kann einen Herzinfarkt auslösen. Man kippt einfach um. Das machte mir schon etwas Angst.»

Von Angststörungen und Depressionen geplagt

Das geht vielen Betroffenen so: Ein Eingriff am Herz löst oft existenzielle Ängste aus. Etwa jeder fünfte Mensch, der wegen eines Herzinfarktes im Spital behandelt wird, entwickelt Angststörungen.

Auch Depressionen seien häufig, weiss André Euler, Leiter der Psychokardiologie am Unispital Zürich und Triemlispital Zürich: «Bis zur Hälfte der Patienten leiden nach einem Herzinfarkt unter Depressionen, 20 Prozent unter schweren Depressionen und zum Teil gibt es sogar Symptome einer posttraumatischen Störung.»

Höheres Risiko fürs Herz

Solche Ängste und Depressionen sind nach neuen Erkenntnissen ein ähnlich grosses Risiko fürs Herz wie Rauchen: «Wenn Depressionen und Ängste bei Patienten auftreten, die ein bereits erkranktes Herz haben», sagt Euler, «dann vervielfacht sich das Risiko, dass sich wieder ein Infarkt ereignet oder, dass sich die Herzerkrankung verschlechtert.»

Darum bieten seit ein paar Jahren zumindest die grossen Unispitäler und einzelne Kantonsspitäler mit vielen Herzeingriffen aktiv psychologische Hilfe an. Sogenannte Psychokardiologen und Psychokardiologinnen sind speziell auf die Ängste von Herzpatientinnen und -patienten geschult.

Anlaufstellen für Betroffene

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Auch Markus Vollack erhält Unterstützung von einer Psychokardiologin. Vordergründig scheint er zwar keine Angst zu haben. Er gibt sich cool. Doch beim Vorgespräch mit dem Herzchirurgen zehn Tage vor der Operation zeigt sich: Er bekommt Schweissausbrüche, als er das Video einer realen Herzoperation anschaut.

Der Herzchirurg Omer Dzemali vom Triemlispital Zürich hat den Eindruck, «dass der Patient Angst hat, es aber nicht zugeben kann und das daher auch nicht richtig ausdrücken kann». Bei genau solchen Persönlichkeiten sei es wichtig hinzuschauen.

Nachts kreisen die Gedanken

Im Anschluss zum Vorgespräch trifft Markus Vollack erstmals die Psychokardiologin Katharina Gessler. Es sei wichtig, die Beratung von Anfang an anzubieten, sagt Gessler. Das ist nötig, um bereits im Vorhinein eine Beziehung zu haben. «Es ist viel schwieriger, eine Beziehung aufzubauen, wenn man sich bereits in einer Krisensituation befindet», so die Psychokardiologin.

In der Nacht vor der Operation zeigt sich erneut: Die Herz-OP ist für den Patienten Vollack kein Klacks. Er schläft nicht durch, die Gedanken kreisen. Die OP verlangt ihm mehr ab als er sich vorstellen konnte.

Nicht alle gleich belastet

Während sich Markus Vollack nach dem erfolgreichen Eingriff körperlich und auch psychisch rasch erholt, regeneriert sich Silvana Caminada nur langsam.

Am Unispital Zürich wurde ihr ein Defibrillator eingebaut – eine Routineoperation. Trotzdem war sie fix und fertig. Deshalb war sie auch dankbar um die Psychokardiologin, die sie besuchte. «Ich bin selber Psychologin und wäre nicht auf die Idee gekommen, in der Herzabteilung danach zu fragen.»

«So konnte ich mit jemandem reden. Endlich mal sagen, wie es mir innerlich geht. Das war so wichtig.» Die Angst sei weniger geworden, ist aber trotzdem ihre ständige Begleiterin.

Puls, 18.10.2021, 21:05 Uhr

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