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Alzheimer-Frühdiagnosen im Überblick
Aus Wissenschaftsmagazin vom 25.09.2021. Bild: keystone
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Alzheimer schon mit 30? Alzheimer Früherkennung – Bluttests sollen bald erhältlich sein

Bei ersten Alzheimer-Symptomen ist das Gehirn schon Jahrzehnte krank und bereits geschädigt. Früherkennung kann helfen.

Die Früherkennungsforschung bei Alzheimer bewegt sich auf unterschiedlichen Pfaden. Und sie bewegt sich schnell. Mathias Jucker, Neurowissenschaftler am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung in Tübingen, spricht von einer riesigen Aufbruchstimmung in der Alzheimerforschung: «Die Forschung ist so rapid unterwegs, dass die ersten Bluttests zur Früherkennung in zwei, drei Jahren auf dem Markt sein werden.»

Dem langen Vorlauf der Erkrankung auf die Schliche kommen

Die Forscher konzentrieren sich auf unterschiedliche Biomarker: auf Spuren der Erkrankung im Blut, in der Gehirnflüssigkeit oder direkt in der Gehirnsubstanz. Spuren, die bereits 20 oder 30 Jahre bevor kognitive Defizite auffallen, im Körper sicht- und messbar sind.

Amyloide Plaques: Die Auslöser

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Beta-Amyloid-Ablagerungen im Gehirn sind typisch für Alzheimer. Im gesunden Gehirn wird das Eiweiss Beta-Amyloid abgebaut. Bei der Alzheimer-Krankheit geschieht das nicht mehr. Die Eiweisse verklumpen und bilden zähe, unauflösliche Plaques zwischen den Gehirnzellen.

Die ersten Plaques entstehen vermutlich schon 20 oder 30 Jahre, bevor die Patientinnen erste beobachtbare Symptome zeigen. Also bevor auffällt, dass sie sich z.B. nichts Neues mehr merken können.
Beta-Amyloid-Plaques an sich machen nicht dement. Die Alzheimer-Forscherinnen denken aber, dass diese Plaques die Krankheit anstossen. Derzeit konzentriert sich der grösste Teil der Alzheimerforschung auf die Beat-Amyloid-Ablagerungen im Gehirn.

Weltweit arbeiten Teams an der Entwicklung von Tests, um dem langen Vorlauf der Erkrankung auf die Schliche zu kommen.

Proteine im Blut verraten den Zustand des Gehirns

Der Früherkennungstest, an dem Jucker mit seinen Leuten arbeitet, kann Eiweisse im Blut bestimmen, die typisch sind für Alzheimer: Beta-Amyloid-Proteine. Diese Proteine weisen darauf hin, wie viel zerstörerische Beta-Amyloid-Plaques sich bereits im Gehirn abgelagert haben.

Der Test misst auch ein zweites Protein, das an Alzheimer beteiligt ist: das TAU-Protein. Eine grosse Menge dieses Proteins im Blut ist ein Anzeichen für mögliche TAU-Verklumpungen, die Hirnzellen zerstören und das Gehirn schädigen. Das passiert bereits Jahrzehnte bevor die erkrankten Personen erste Symptome spüren, sich z.B. schwer damit tun, sich neue Namen einzuprägen oder Neues zu lernen

TAU-Verklumpungen: Die Zerstörer

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TAU ist ein Protein wie das Beta-Amyloid. Bei der Alzheimer-Erkrankung wird das Tau-Protein in seiner chemischen Struktur verändert. Es verklumpt zu so genannten TAU-Fibrillen.

Im Unterschied zu den Amyloid-Plaques findet die Verklumpung nicht zwischen, sondern in den Hirnzellen statt. Die TAU-Fibrillen sind unauflösliche, gedrehte Fasern, die sich im Verlauf der Alzheimer-Krankheit übermässig ansammeln. Die Zellen verlieren ihre Form, ihre Funktionen und sterben ab.

TAU-Verklumpungen sind eng verknüpft mit den kognitiven Defiziten von Alzheimer-Patienten. Die ersten beobachtbaren Symptome sind Probleme mit dem Kurzzeitgedächtnis, also Schwierigkeiten, Neues zu lernen. Im Verlauf der Erkrankung sind zunehmend auch das Langzeitgedächtnis, die Orientierung, die Sprache und die Persönlichkeit betroffen.

Zum Alzheimer-Test in die Hausarztpraxis

Die Hoffnung der Forscher sind einfache Bluttests in der Hausarztpraxis, die teure Bilder aus dem Hirn-Scanner oder die schmerzhafte Entnahme von Rückenmarksflüssigkeit in spezialisierten Kliniken bald ersetzen können.

«Das ist die Zukunft», sagt Mathias Jucker. Zuerst aber müssen diese Bluttests noch validiert werden. Wo liegen die Grenzwerte der Proteine im Blut? Wie zuverlässig kann ein Test eine Alzheimer-Erkrankung Jahre oder gar Jahrzehnte vor dem Ausbruch voraussagen?

Warum testen ohne Therapie?

Bleibt ein grosses Problem. Warum testen, wenn es keine Therapie gibt – abgesehen vom kürzlich in den USA zugelassenen, aber umstrittenen Antikörper Aducanumab. Andreas Monsch, Leiter der Memory-Klinik Basel nennt mehrere Gründe für eine Testung.

Bei bereits erkrankten Menschen mit milden Symptomen beobachte er zum einen, dass eine Diagnose 90 Prozent seiner Patienten an der Basler Memory Clinic erleichtere. Sie hätten nun einen Namen für ihre Probleme und könnten sich mit der Krankheit auseinandersetzen und sich vorbereiten.

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Alzheimer entsteht bis zu 30 Jahre vor erstem Symptom
Aus SRF News vom 21.09.2021.
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Früh erkrankte helfen der Forschung und vielleicht sich selber

Dank künftigen Früherkennungstests in der präklinischen Phase, könnten zum andern früh diagnostizierte Menschen rechtzeitig in Studien für neue Therapien einbezogen werden.

Denn die zahlreichen erfolglosen Wirkstoff-Studien der letzten Jahre waren wohl zu spät angesetzt. Die Erkrankung der Versuchspersonen war zu weit fortgeschritten, so dass die Demenz nicht mehr aufzuhalten war.

Lernen aus den Flops vergangener Jahre

Über 100 Wirkstoffe sind seit den 1990er Jahren gefloppt. Darunter vielleicht auch Wirkstoffe, die zwar nicht im fortgeschrittenen Krankheitsstadium, aber bei früh diagnostizierten Patientinnen helfen könnten.

Bestätigt sich die Hoffnung von Mathias Jucker können sich in naher Zukunft schon verhältnismässig junge Menschen auf ihr Alzheimer-Risiko testen lassen. 40-Jährige oder sogar 30-Jährige werden dann ihr Risiko an Alzheimer zu erkranken kennen. Wenn sie es überhaupt wissen wollen.

Kehren die Pharmariesen ins Forschungsfeld zurück?

Gut möglich, dass der Boom in der Test-Entwicklung auch der Suche nach Alzheimer-Medikamenten zusätzlichen Schub verleiht. Gut möglich auch,  dass dieser Drive die grossen Pharmakonzerne zurückbringt, die sich in den vergangenen Jahren – einer nach dem andern – von der Alzheimerforschung verabschiedet haben.

Wissenschaftsmagazin, 25.09.2021, 12:40 Uhr;

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