Der empathische Arzt, der sich für das Wohl seiner Patientin schon einmal über Vorgaben hinwegsetzt. Die junge Ärztin, die die Nacht am Krankenbett «ihres» Patienten verbringt, bis er über dem Berg ist. Arztserien gaukeln eine schöne heile Arzt-Patientenwelt vor, die es so, leider, nicht gibt.
Das Bedürfnis danach ist aber offenbar seit Jahrzehnten gross. Schon vor 30 Jahren verfolgten jede Woche 28 Millionen Menschen gebannt, wie es Ärzten und Patienten in der Schwarzwaldklinik erging. Heute heissen die Arztserien «Dr. House», «Grey`s Anatomy» oder «Emergency Room», sind aber nach wie vor unschlagbar beliebt.
Erfahrungen aus dem TV
Nur: Auch sie haben nicht mehr mit dem echten Leben zu tun als die Welt des Doktor Brinkmann anno dazumal. Der deutsche Chirurg Kai Witzel hat sich dieses Themas vor einigen Jahren angenommen, nachdem er mehrmals nach Operationsmethoden gefragt worden war, wie sie gerade in Arztserien zu Einsatz gekommen waren. Die Krux: Die meisten Patienten haben keine einschlägige Erfahrung mit Spitalaufenthalten. Das meiste, was sie darüber wissen, kennen sie aus dem Fernsehen.
Doch dann prallen Fiktion und Realität aufeinander: Im Vergleich zur TV-Behandlung schneidet die Wirklichkeit dann oft schlechter ab – selbst dann, wenn der eigentliche Eingriff eigentlich problemlos und nach Plan verlaufen ist. Wichtiger als die Operation scheint in der Bewertung also der Aufenthalt zu sein.
So bekommt die Arztvisite einen besonders hohen Stellenwert bei den Patienten, doch der Kurzbesuch der Ärzte am Krankenbett hat so gar nichts mit dem gemein, was Derek Shepherd mit seinen Patienten veranstaltet – Arztserien-Schauer sind entsprechend ernüchtert.vZudem zeigte sich, dass die Sendungen die Angst der Patienten vor Eingriffen eher schürten, denn der Spannung zuliebe wimmelt es in den Drehbüchern von Komplikationen.
Das Umfeld zählt
Laut Studienleiter Kai Witzel, selbst bekennender Arztserien-Schauer, können Ärzte aus den Sendungen Einiges lernen – zum Beispiel, dass es Patienten nicht nur wichtig ist, gut operiert zu werden, sondern dass auch das Umfeld zählt – welche Kunst die Räume schmückt, wie gut sich Patienten umsorgt fühlen – und was sie zu essen bekommen. Letzteres bewerteten Spitalpatienten, die regelmässig Arztserien schauten, übrigens besser Nicht-Seher.
«Die Serien sind der Benchmark, deshalb sollte man sie nicht ignorieren», rät der Arzt. Denn immerhin: Das Arzt-Patientenverhältnis im TV ist sehr nahe dran am Ideal.