Ob Makuladegeneration, Grauer Star oder Retinitis pigmentosa: Weil die Menschen immer älter werden, nehmen auch Augenkrankheiten weltweit zu. Pharmakonzerne wie Novartis, Roche und Bayer investieren grosse Summen in die Entwicklung neuer Behandlungsmethoden.
Künstliches Sehen mit Retina-Implantat
Dabei winken nicht nur Gewinne für die Anbieter – das interessiert auch Patienten: Der Publikumsandrang ist gross, als die auf Netzhauterkrankungen spezialisierte Augenklinik Sulzbach bei Saarbrücken zu einem Infotag über Retinitis pigmentosa einlädt. Retinitis pigmentosa ist ein erbliches Augenleiden, das zur Erblindung führt.
Chefarzt Peter Szurmann referiert über Therapiemöglichkeiten. Genauer: über das Retina-Implantat. Blinden Menschen wird ein Mikrochip unter die Netzhaut des Auges eingesetzt, der eine Art künstliches Sehen ermöglicht.
Sieben Prozent wiedergewonnene Sehkraft sind derzeit das Maximum. Mehr als nur «orientierendes Sehen» sei damit noch nicht möglich, sagt Szurmann. Doch das Verfahren werde sich weiterentwickeln.
Die Forschung konzentriert sich dabei vor allem in der Universitätsklinik Tübingen. «Unser Fernziel ist, dass man in 20, 30 Jahren ein echtes künstliches Sehen haben wird», sagt Peter Szurmann, der an den Forschungsarbeiten beteiligt ist.
Das Retina-Implantat werde eine ähnliche Karriere durchlaufen wie das Cochlea-Implantat bei den Gehörlosen, so Szurmann weiter. Auch das Cochlea-Implantat funktioniert mit einem Stimulationschip, der – in diesem Fall im Innenohr – künstliche Sinneseindrücke erzeugt.
Das Verfahren ist heute Routine. «Demgegenüber hinkt die Augenheilkunde für die blinden Patienten 20 Jahre hinterher», sagt Chefarzt und Forscher Szurmann. «Aber in 20 Jahren wird der Netzhaut-Chip eine Standardbehandlung sein, um Blinde wieder sehen zu lassen.»
Stammzellen gegen Makuladegeneration
Doch die Augenforschung hat noch mehr im Köcher. Zum Beispiel Stammzellentherapie. Stammzellen sind – theoretisch – imstande, kaputtgegangene Zellen zu ersetzen.
Mit diesem Verfahren wollen Forscher wie Peter Szurmann der Makuladegeneration beikommen, einer vergleichsweise häufigen Netzhauterkrankung im Alter. Betroffen ist dabei die Makula – der Gelbe Fleck im Zentrum der Netzhaut, der fürs Scharfsehen sorgt.
Die eine Form dieser Krankheit, die feuchte Makuladegeneration, haben die Augenmediziner mit Spritzen einigermassen im Griff. «Aber für die trockene Form, die weit häufiger ist, hat die Medizin bislang nichts zu bieten», so Peter Szurmann.
Stammzellen könnten das ändern: Bereits 2019 will die Augenklinik Sulzbach zusammen mit dem Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik eine Studie starten.
Neues Forschungsinstitut in Basel
Auch in der Schweiz mischen Wissenschaftler die Augenforschung kräftig auf. An der neu gegründeten Augenforschungseinrichtung Institute of Molecular and Clinical Ophtalmology Basel (IOB), die von Novartis mitfinanziert wird, setzen die Forscher ganz auf die Gentherapie.
«In der Augenforschung ist die Gentherapie das nächste grosse Dinge», sagt Botond Roska, einer der Co-Direktoren des IOB. Denn mit den modernen Techniken könne man künftig in jede beliebige Zelle der Netzhaut gesundes Erbmaterial einbringen, wenn diese erkrankt sei.
Roska hat 13 Jahre lang im Friedrich-Miescher-Institut die Netzhaut erforscht. Im IOB nun sollen die theoretischen Erkenntnisse direkt zu den Patienten gelangen.
Hendrik Scholl, der ärztliche Direktor des Instituts, ist ebenfalls überzeugt: Die Netzhaut sei unter allen Geweben des menschlichen Körpers dasjenige Organ, das am meisten von genetischen Erkrankungen betroffen sei.
«Das heisst, wir sind genau an dem Ort, wo wir mit Gentherapie am meisten ausrichten können», sagt Scholl. Über 200 Gendefekte der Netzhaut haben Augenforscher weltweit bereits identifiziert.
Gentherapie hat funktioniert
Anfang Jahr wurde in den USA nach 20 Jahren Forschung die erste Augen-Gentherapie zugelassen, und zwar für die erbliche «Lebersche Amaurose», bei der Betroffene stark sehbehindert geboren werden.
Mit der Gentherapie ist es gelungen, eine rudimentäre Sehfähigkeit wiederherzustellen – in Hendrik Scholls Augen ein Durchbruch, auf dem er aufbauen will.
Am IOB will man sich auf gentherapeutische Verfahren für Makula-Erkrankungen und Retinitis pigmentosa konzentrieren. Bis zur ersten klinischen Studie werde es allerdings noch lange dauern, sagt Scholl wobei: «Wir glauben, dass unsere Entwicklung nicht 20 Jahre braucht, aber mit Sicherheit auch nicht nur 20 Monate.»
Sicher ist: Die Netzhaut ist ein biologisches Wunderwerk und nicht so einfach zu reparieren. Ob die Augenforschung ihre hohen Versprechen auch halten kann, ist noch ungewiss.