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Gesundheit Autofahren im Alter – Fahrstunden statt Hausarzt?

In der Schweiz müssen Senioren mit regelmässigen medizinischen Tests ihre Fahrtauglichkeit beweisen. Fahrstunden jedoch wären möglicherweise hilfreicher.

In der Schweiz müssen Verkehrsteilnehmer über 70 alle zwei Jahre zu einem medizinischen Check beim Hausarzt. Erfüllen sie die medizinischen Anforderungen nicht mehr, verlieren sie ihren Fahrausweis. Die Aufforderung zur Kontrolle ist so für viele Senioren eine Zitterpartie, die Angst vor dem Verlust der Mobilität wiegt oft schwer. Ganz andere Ängste haben Angehörige, wenn Grosseltern trotz sinkender Fahrkompetenz immer noch Auto fahren. Tödliche Unfälle sorgen für emotionale Diskussionen, bei denen der Ruf nach noch schärferen Kontrollen laut wird.

Doch bringen die medizinischen Untersuchungen wirklich mehr Sicherheit auf der Strasse? Die Antwort ist umstritten. In der EU verzichten mehrere Länder auf solcherlei Kontrollen, trotzdem sind die Unfallzahlen vergleichbar mit der Schweiz.

Zudem zeigen verschärfte Regeln nicht immer die gewünschte Wirkung, wie Zahlen aus Dänemark belegen. Nach strengeren Kontrollen und einer starken Zunahme von Ausweisentzügen starben mehr Senioren und Seniorinnen im Strassenverkehr – nicht als Autofahrer, sondern vermehrt nach Stürzen vom Velo oder anderen leichten Fahrzeugen, da sie ihre Mobilität nicht aufgeben wollten.

Zwang zur Selbstkritik

Hausarzt Thomas Kissling ist sich bewusst, dass die hiesigen Kontrollen ein dünnes wissenschaftliches Fundament haben. Dennoch findet er die Abklärungen in Ordnung: «Die Kontrollen zwingen den Patienten, sich mit der eigenen Gesundheit und den körperlichen Einschränkungen auseinanderzusetzen», so der «Puls»-Arzt.

Gerade als Hausarzt merke er bei einem Patienten oft früh, dass die geistigen Fähigkeiten nachgelassen hätten und weitere Test nötig seien, sagt Thomas Kissling. Ist er sich bei einem Patienten nicht sicher, schickt er ihn für weitere Abklärungen wie zum Beispiel eine Probefahrt zur nächst höheren Instanz beim Strassenverkehrsamt. Dort entscheiden dann Verkehrsmediziner, ob die gesundheitlichen Defizite auch einen Einfluss auf die Verkehrstauglichkeit haben. Doch was passiert, wenn Senioren auf der Strasse den Anforderungen nicht mehr genügen?

Fahrtraining für Senioren

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Auch in der Schweiz gibt es Möglichkeiten, die Fahrkompetenz zu verbessern. Neben Fahrstunden bei einem Fahrlehrer gibt es spezifische Kurse für Senioren. Verschiedene Organisationen wie Pro Senectute, Fahrberater oder der TCS bieten Auffrischungskurse, Schleudertrainings und Fahrsicherheitstrainings an, die gezielt auf Senioren ausgerichtet sind.

Eine Studie aus Deutschland vom Leibnitz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund überrascht: 92 Personen im Alter von über 70 Jahren bekamen während weniger Wochen 15 Fahrstunden bei einem Fahrlehrer. Mit dem Resultat rechnete selbst Sebastian Poschadel, verantwortlicher Projektleiter der Studie, nicht: «Vor allem schlechte Fahrer und Fahrerinnen profitierten stark von den Fahrtrainings. Insgesamt fuhren die Senioren nach den Fahrstunden wieder so gut wie die 40- bis 50-jährigen Personen aus der Vergleichsgruppe.»

Die Senioren fuhren mitten im Dortmunder Stadtverkehr, vorbei an Stellen, an denen statistisch gesehen viele Unfälle von Senioren verursacht wurden. «Das Einzige, was die Fahrfähigkeiten von Senioren wirklich verbessert, sind aktive Fahrstunden, Fahrtests und üben, üben und nochmals üben», zeigt sich Poschadel so überzeugt. Über die Jahre haben sich falsche Verhaltensweisen eingeschlichen und vielleicht auch Ängste entwickelt, weil schwierige Situationen gemieden wurden.

Das Training mit Profis gebe wieder Sicherheit, so Poschadel. Er sieht die medizinischen Kontrollen kritisch: «Es ist verantwortungslos, ohne jegliche Versuche oder Trainings Senioren die Ausweise zu entziehen.» Es sei wichtig, dass Senioren möglichst lange den Fahrausweis behalten können, sagt er mit Verweis auf die Studien aus Dänemark.

Die Resultate überzeugen, doch wie realistisch ist es, Senioren mit vielen Jahren Verkehrserfahrung von Fahrstunden zu überzeugen? Das dies schwierig sei, ist Poschadel klar: «Es müssen ja nicht immer 15 Fahrstunden sein. Viele Senioren könnten bereits von wenigen Stunden oder einem Ausbildungstag stark profitieren.»

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