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Schilddrüsenkrebs – Wird häufig zu früh operiert?
Aus Puls vom 16.09.2013.
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Bei Krebsverdacht wird zu häufig operiert

Mit modernen Untersuchungsmethoden entdecken Ärzte heute selbst kleinste Tumore der Schilddrüse. Dies führt auch zu unnötigen Operationen. Denn obwohl oft kaum gefährlich, werden die Minitumore trotzdem häufig entfernt.

Amerikanische Experten warnen in einem Fachartikel im «BJM» davor, dass die Diagnose Schilddrüsenkrebs zu häufig gestellt wird. Die Folge dieser «Überdiagnosen» sind überflüssige und im schlimmsten Fall sogar schädliche Behandlungen.

Die Autoren sehen den Grund in immer besseren Nachweisverfahren wie hochpräzisem Ultraschall und MRI. Mittlerweile können so bereits kleinste Geschwülste in der Schilddrüse festgestellt werden. Obwohl diese Minitumore meist ungefährlich sind, werden sie häufig trotzdem entfernt. So belegen die Autoren in ihrem Artikel, dass sich in den USA die Zahl der entdeckten Schilddrüsenkarzinome in den letzten 30 Jahren verdreifacht hat, ohne dass mehr Menschen an dem Krebs sterben.

Sterberate praktisch unverändert

In der Schweiz ist ein ähnlicher Trend festzustellen. Zahlen des Bundesamtes für Statistik zeigen: 2001 wurden in der Schweiz 645 Schilddrüsen entfernt. Zehn Jahre später sind es bereits 1679 Operationen. Die Sterberate hat sich in dieser Zeitspanne jedoch nur unwesentlich verringert, nämlich von 0,6 Schilddrüsenkrebs-Toten pro 100‘000 Einwohner auf 0,5 Tote pro 100‘000 Einwohner. Spezialisten sehen darin einen klaren Hinweis darauf, dass zunehmend unnötige Operationen durchgeführt werden. Studien zeigen denn auch, dass der am häufigsten unter den Schilddrüsenkarzinomen vorkommende «papilläre» Schilddrüsenkrebs im Frühstadium kaum eine Gefahr darstellt und möglicherweise bei fast einem Drittel aller Menschen vorkommt.

Eingriff mit Folgen

Solche Minitumore werden meist zufällig bei einer MRI- oder Ultraschall-Untersuchung entdeckt. Nach der anschliessenden Feinnadelpunktion finden die Pathologen unter dem Mikroskop häufig veränderte, also maligne Zellen. Aufgrund der Gewebeprobe kann jedoch in den meisten Fällen nicht vorhergesagt werden, ob sich die entarteten Krebszellen im Verlauf gefährlich vermehren und Ableger bilden, oder sich ein Leben lang ruhig verhalten oder sogar wieder verschwinden.

Um kein Risiko einzugehen, entscheiden sich die behandelnden Ärzte zusammen mit den Patienten dann oft für die Entfernung der Schilddrüse. Zwar kann das Fehlen der Schilddrüse durch die lebenslange Einnahme von Hormonen kompensiert werden, doch der Eingriff selbst kann eine Reihe von Nebenwirkungen haben wie eine Lähmung des Kehlkopfnervs oder Schäden an den Nebenschilddrüsen.

Nur noch bei konkretem Verdacht untersuchen

Immer mehr Endokrinologen fordern deshalb auch in der Schweiz, dass Ultraschalluntersuchungen der Schilddrüse nur bei konkretem Verdacht durchgeführt werden sollen. Das heisst, wenn entweder der Patient bereits unter Symptomen leidet oder wenn bei dem Abtastuntersuch der Schilddrüsen auffällige Knoten zu spüren sind. Denn erst ab einer Tumorgrösse von über einem Zentimeter lohne es sich, weitere Abklärungen zu treffen.

Falls dennoch einmal zufällig ein Minitumor der Schilddrüse entdeckt wird, sollte anstelle der sofortigen Operation abgewartet und die Schilddrüse regelmässig überwacht werden. Zudem plädieren immer mehr Fachleute dafür, die kleinen Gewebeveränderungen als «Niedrigrisiko-Tumore» zu bezeichnen, um den Patienten durch die Diagnose «Krebs» nicht unnötigerweise unter Druck zu setzen.

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