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Coronavirus bremsen Superspreader als Chance

Wenige Coronainfizierte scheinen für eine grosse Anzahl der Infektionen verantwortlich zu sein. Mit einer auf diese Cluster ausgerichteten Strategie könnte die Epidemie gut kontrollierbar bleiben.

Ein einziger Partygänger infiziert über 100 andere: Was sich Mitte Mai in Südkorea ereignete, nennt die Wissenschaft einen «Superspreader-Event».

Paradoxerweise ist dieses Phänomen eine grosse Chance für die bessere Kontrolle des Virus.

Nicht alle Infizierten sind gleich ansteckend

In der Corona-Pandemie stand lange die Reproduktionszahl R0 im Zentrum des Interesses. Dabei wird beim Coronavirus davon ausgegangen, dass ohne geeignete Massnahmen pro infizierte Person mit durchschnittlich zwei bis drei weiteren Infektionen zu rechnen ist.

Dies ist jedoch ein rein mathematischer Wert: In der Realität sind nicht alle Infizierten gleich ansteckend – das Virus wird unterschiedlich stark weitergegeben. Hier kommt der k-Wert oder Dispersionsfaktor ins Spiel.

Sind nur sehr wenige Infizierte ansteckend, liegt der k-Wert eher bei 0. Wird ein Virus hingegen von fast allen Angesteckten weitergegeben, liegt der k-Wert nahe bei 1.

  • Während Sars-CoV-1 im Jahr 2003 einen k-Wert von 0,1 aufwies, liegt eine saisonale Influenza fast bei 1. Damit ist praktisch jeder und jede Grippe-Infizierte auch selber ansteckend.
  • Für das aktuelle Coronavirus wird der k-Wert aufgrund verschiedener Studien ungefähr in der Mitte bei 0.5 angesiedelt.

Sars-CoV-2 wird also nicht nur von den Superspreadern verbreitet. Sie spielen aber eine grosse Rolle, was aus epidemiologischer Sicht eine gute Nachricht ist.

Denn das Superspreading ist zwar problematisch, weil es schnell zu einem explosionsartigen Ausbruch kommen kann. «Aber der Vorteil ist, dass man es oft rasch erkennt», erklärt der Berner Epidemiologe Christian Althaus, der das Phänomen seit Jahren erforscht. «Man kann die Infizierten isolieren und ihre Kontakte schnell in Quarantäne setzen.» Dies verhindert wirksam weitere Infektionen.

Und auch wenn einzelne Kontaktpersonen durch die Maschen fallen, verursachen diese mit grosser Wahrscheinlichkeit keine neuen Coronaausbrüche. Denn obwohl prinzipiell jeder infizierte Mensch zum Superspreader werden kann, müssen dafür doch einige – problemlos beeinflussbare – Faktoren zusammenkommen.

Die Infektiologin Sarah Tschudin Sutter ist Mitglied der wissenschaftlichen Codiv-19-Arbeitsgruppe des Bunds, die sich intensiv mit Superspreadig-Events befasst. «Wenn man in ein Setting geht, wo sehr viele Leute auf engem Raum viele soziale Kontakte haben, womöglich noch in einer schlecht belüfteten Location, dann ist das die optimale Voraussetzung für solche Übertragungen.»

Japan beispielsweise hat bereits auf diese Erkenntnisse reagiert. Regierung und Gesundheitsbehörden haben ihre Massnahmen gezielt auf die Verhinderung von Clusterbildungen ausgerichtet. Der Appell an die Bevölkerung: Sich nicht in geschlossenen ungelüfteten Räumen aufhalten, Ansammlungen vermeiden, bei Treffen Abstand halten. Auf Verbote wird weitgehend verzichtet – mit Erfolg, wie die aktuellen Infektionszahlen zeigen.

Für Sarah Tschudin Suter ist das ein Ansatz, den man auch in der Schweiz noch stärker gewichten sollte. Gleichzeitig würde sie auf eine noch konsequentere Kontaktverfolgung setzen: «Es lohnt sich, bei solchen Clustern in die Tiefe zu gehen, um möglichst alle Kontaktpersonen zu finden und weitere Ansteckungen im Keim zu ersticken.»

Puls, 08.06.2020, 21:05 Uhr

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