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Der Herzschlag beeinträchtigt das Merkvermögen

Das menschliche Gehirn unterdrückt die Wahrnehmung des eigenen Herzschlags, wie Lausanner Forscher herausgefunden haben. Das hilft dem Gehirn, die Aussenwelt ungestört aufzunehmen – hat aber einen Preis.

Meist spüren wir unser Herz nicht schlagen. Verantwortlich ist eine Filterfunktion des Gehirns, wie ein Wissenschaftlerteam der ETH Lausanne (EPFL) im Fachjournal «The Journal of Neuroscience» berichtet. Die Forschenden haben entdeckt, dass eine bestimmte Hirnregion darüber entscheidet, wie äussere und innere Sinneseindrücke zusammenspielen, schrieb die EPFL in einer Mitteilung.

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Den Wissenschaftlern fiel auf, dass das menschliche Denkorgan visuelle Reize weniger effizient verarbeitet, wenn sie zeitgleich mit dem Herzschlag auftreten. «Wir sind nicht objektiv und wir sehen nicht alles, was auf unsere Netzhaut trifft, wie eine Videokamera», so Studienautor Roy Salomon. Das Gehirn entscheide, welche Informationen ins Bewusstsein dringen sollen. «Aber überraschend ist, dass auch unser Herz beeinflusst, was wir sehen», erklärt Salomon weiter.

Im Takt sehen Probanden schlechter

Die Forschenden zeigten mehr als 150 Freiwilligen eine achteckige Form, die auf einem Bildschirm aufblinkte. Wenn das Bild gleichzeitig mit dem Herzschlag aufleuchtete, hatten die Probanden mehr Mühe, die Form zu erkennen.

Anschliessend wiederholten die Wissenschaftler das Experiment in einem Hirnscanner. Blinkte die Form nicht im Rhythmus des Herzschlags, funktionierte eine bestimmten Hirnregion, die sogenannte Inselrinde, normal, und die Probanden konnten die Form problemlos erkennen. Leuchtete das Bild dagegen im Takt des Herzschlags auf, war die Inselrinde viel weniger aktiv, und die Teilnehmenden waren sich der Form, die sie sahen, weniger oder sogar gar nicht bewusst. Offenbar ist das die Kehrseite davon, dass das Hirn die Wahrnehmung des Herzschlags unterdrückt: Der Mensch ist in diesem Moment auch weniger empfänglich für andere Sinneseindrücke.

Sinnvoller Filter

Interne Reize sollten nicht die Wahrnehmung äusserer Reize stören, sagte Salomon. «Da unser Herz schon schlug, als sich unser Gehirn noch formte, waren wir dem Herzschlag schon vom Beginn unserer Existenz an ausgesetzt.» Es sei daher nicht überraschend, dass das Gehirn die Wahrnehmung des Herzens grösstenteils unterdrücke. Dass diese Filterfunktion Sinn ergibt, zeigt sich auch, wenn sie nicht richtig funktioniert. Sich des eigenen Herzschlags bewusst zu sein, hänge mit einer Reihe psychologischer Probleme zusammen, schrieb die EPFL.

Beispielsweise nehmen Patienten mit Angststörungen ihren Herzschlag viel deutlicher wahr als andere. Aber auch Personen ohne solche Probleme können ihren Herzschlag spüren, wenn sie zum Beispiel grosse Aufregung oder Angst erleben. Ob Angststörungen Ursache oder Folge einer defekten Filterfunktion sind, sei indes nicht klar. «Wir wissen nur, dass wir uns meistens unseres Herzschlags nicht bewusst sind und dass eine bestimmte Hirnregion dafür zuständig ist, seine Wahrnehmung zu unterdrücken», so Salomon.

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