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Blutzuckermessung per Sensor – Diabetestherapie im Umbruch
Aus Puls vom 22.05.2017.
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Diabetestherapie im Umbruch

Die Entwicklung neuer Sensorsysteme zur kontinuierlichen Blutzuckerüberwachung machte in den letzten Jahren grosse Fortschritte. So könnten für Diabetiker die täglichen Stiche in die Fingerbeere bald der Vergangenheit angehören.

Seit Ende der 1970er-Jahre die ersten Teststreifen auf den Markt gekommen sind, stechen sich Diabetiker mehrmals täglich in den Finger, um ihren Blutzuckerwert zu bestimmen. Dabei erhalten sie jeweils jedoch nur eine Momentaufnahme ihres Zuckerspiegels und verpassen womöglich die Zeitpunkte von zu hohen oder zu tiefen Werten. Wenn jedoch über längere Zeit der Blutzucker immer wieder entgleist, schadet dies der Gesundheit. So steigt unter anderem das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle, auch Nieren- und Nervenschäden können auftreten.

CGM-Systeme (Continuous Glucose Monitoring)

Seit einigen Jahren sind in der Schweiz zur Blutzuckerüberwachung auch sogenannte CGM-Systeme (Continuous Glucose Monitoring) erhältlich. Weniger Blut, mehr Kontrolle – so könnte man den Nutzen dieser Systeme beschreiben. Denn anders als bisher wird hier der Zuckerwert nicht im Blut, sondern in der Gewebeflüssigkeit gemessen. Die Messung geschieht über einen Sensor, den der Patient am Körper trägt. Eine knapp ein Zentimeter lange Sonde, dünn wie ein Haar, bestimmt alle fünf Minuten den Blutzucker im Zwischenzellgewebe und sendet die Daten drahtlos an ein Anzeigegerät oder über Bluetooth aufs Mobiltelefon. Anhand der Verlaufskurve erkennt der Patient auch ob, in welche Richtung und wie schnell sich sein Zuckerspiegel verändert.

Bessere Zuckerwerte

Zurzeit sind in der Schweiz mit dem «Medtronic Enlite Sensor» und dem «Dexcom G4/Decom G5» zwei CGM-Systeme auf dem Markt. Beide Systeme warnen, wenn der Blutzuckerwert droht, den vom Patienten vorgegebenen Zielbereich zu unter- oder zu überschreiten. Der Enlite Sensor kann auch mit der Insulinpumpe gekoppelt werden, so dass diese eine drohende Unterzuckerung vorab erkennt und die Insulinzufuhr automatisch unterbricht, bis sich der Zuckerwert wieder normalisiert hat. Verschiedene randomisierte und kontrollierte Studien und Metaanalysen konnten aufzeigen, dass CGM-Systeme Vorteile gegenüber der Standart-Therapie haben. So verbringen Patienten mit CGM-Systemen signifikant weniger Zeit in Unter- oder Überzuckerung und weisen entsprechend auch bessere Langzeitblutzuckerwerte (HbA1c-Werte) auf.

Höhere Kosten

Seit 2013 werden die Sensoren auf der Mittel- und Gegenständeliste des Bundes aufgeführt (S. 60 -61) und somit von den Krankenkassen bezahlt. Voraussetzung, der Patient ist mit den klassischen blutigen Messungen nur ungenügend gut eingestellt. Die Sensoren müssen nach sechs resp. sieben Tagen ausgewechselt werden, was entsprechende Kosten verursacht. Je nach CGM-System kostet die kontinuierliche Blutzuckerüberwachung per Sensor pro Jahr zwischen 5700 und 7500 Franken – und damit bis zu rund sechsmal so viel, wie die klassische Messung mittels Stich in den Finger. Und ganz auf die blutige Messung können die CGM-Patienten auch nicht verzichten. Alle zwölf Stunden muss der Sensor mittels Referenzmessung per Stich in den Finger neu geeicht werden.

FGM-System (Flash Glucose Monitoring)

Seit Sommer 2016 ist in der Schweiz auch ein sogenanntes FGM-System auf dem Markt. Der FreeStyle Libre-Sensor misst den Zuckerwert ebenfalls in der Gewebeflüssigkeit wie die CGM-Sensoren. Der FreeStyle Libre sendet die Daten jedoch nicht wie die CGM-Systeme kontinuierlich an einen Empfänger. Die Zuckerwerte werden vom Sensor über acht Stunden gespeichert und müssen vom Patient mittels Lesegerät aktiv abgerufen werden. Entsprechend kann das FGM-System auch nicht vor einer drohenden Unter- oder Überzuckerung warnen. Das System wird bereits in der Fabrik geeicht, so dass kein Kalibrieren mittels Blutzuckermessung vorgenommen werden muss. Der Sensor muss nur alle 14 Tage ausgewechselt werden und das System ist mit Kosten von ca. 1700 Franken pro Jahr deutlich günstiger als die CGM-Systeme. Zurzeit entscheidet das Bundesamt für Gesundheit (BAG) und das Eidgenössische Departement des Innern (EDI), ob die FGM-Systeme auch auf die Mittel- und Gegenständeliste aufgenommen werden, um von den Krankenkassen rückerstattet zu werden. Zurzeit zahlen erst einzelne Krankenkassen auf freiwilliger Basis den FreeStyle Libre für ausgewählte Patientengruppen.

Zukünftige Systeme

Der amerikanische Newssender CNBC berichtete diesen April, dass Apple im Geheimen an Sensoren arbeite, die eingebaut in die Apple-Watch über die Haut kontinuierlich den Blutzucker messen sollen. Die Firma Apple selbst schweigt zum Thema. Bestätigt hingegen ist, dass Google seit 2014 zusammen mit Novartis sogenannt intelligente Kontaktlinsen für Diabetiker entwickelt. Eingebaut in die Linse ist ein winziger Glukosesensor. Dieser soll kontinuierlich den Blutzucker in der Tränenflüssigkeit messen und die Daten ans Smartphone senden. Doch erste klinische Tests, die für 2016 angekündigt waren, mussten auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Die Schweizer Firma Biovotion arbeitet an einem Multisensorsystem, dass getragen am Oberarm nebst verschiedenen Vitalparametern in Zukunft auch nicht-invasiv den Blutzucker messen soll. Erste klinische Tests mit einem Prototyp zeigten, dass das System den Verlauf der Blutzuckerwerte relativ genau mitverfolgen kann, dass punktuell die Sensorwerte jedoch deutlich vom tatsächlichen Blutzuckerwert abweichen können.

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