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Die anderen Influencer Krank im Netz: Betroffene geben intimste Details preis

Sie sprechen auf Social Media über ihre Krankheit: Inkluencer. Sie klären auf und zeigen, dass man nicht allein ist.

Als Robin Rehmann seine Diagnose erhielt, war er anfangs überfordert: «Wenn man so eine Diagnose von einem Arzt erhält, ist es nicht das gleiche, wie wenn man jemandem gegenübersteht, der von sich persönlich erzählt.» Um zu begreifen, wie man mit der chronischen Darmentzündung namens Colitis Ulcerosa leben kann, begann er zu googeln und nach Menschen zu suchen, die ihre persönliche Geschichte darüber erzählten.

Heute hat Robin Rehmann selber einen YouTube-Kanal, gibt intimste Momente von sich preis. «So hilft man sich selbst, aber auch ganz vielen andern, glaube ich.»

Er ist nicht der einzige. Auch Janine Imfeld hat den Schritt in die Öffentlichkeit gewagt. Vor knapp einem Jahr bekam sie die Diagnose Brustkrebs. Von Anfang an teilte sie die belastende Situation auf Instagram. «Der erste Post hat mich viel Mut gekostet», sagt Janine Imfeld. Denn vorher war sie nicht so präsent auf Social Media. «Und wenn es um so etwas Persönliches geht, ist es nochmal ein Schritt mehr. Ich habe den Mut zusammengenommen und fand: Das muss jetzt raus. Darüber will ich erzählen.»

Unterschiedliche Extreme und viel Variation zwischendrin

Wie Janine Imfeld und Robin Rehmann nutzen immer mehr Betroffene soziale Medien, um für ihre Krankheit zu sensibilisieren – ob eingeschränkt, chronisch krank oder an einem akuten Leiden erkrankt.

Definition #inkluencer

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Der Begriff Inkluencer ist eine Wortkombination aus dem englischen «to influence», was beeinflussen heisst und «Inklusion», also Miteinbezogen sein, dazu gehören.

Angel Rose Schmocker befasst sich damit, wie Krankheiten in den sozialen Medien thematisiert werden. Als Trendforscherin an der Zürcher Hochschule der Künste untersucht sie diesen Wandel. «Die Krankheit zeigt sich. Das allein ist schon ein Statement. Und sie zeigt sich sehr öffentlich.»

Schmocker und ihr Team haben für ihre Untersuchung unzählige Instagram-Profile untersucht und verschiedene Ausprägungen festgestellt: «Es gibt Leute, die sich extrem krank zeigen, die Narben, sehr prekäre und sehr dunkle Inhalte zeigen.» Auf der anderen Seite gebe es aber auch sehr helle Seiten: «Gesunde, Leute, die auf dem Weg der Besserung sind, Menschen, die anderen helfen, Lebensmottos und Tipps teilen.» Zwischen diesen beiden Extremen gebe es ganz viele verschiedene Versionen.

Witz und Selbstironie

Eine Person, die sich auf eine humorvolle Weise Gehör verschafft, ist Phil Frei. Er lebt seit Geburt mit einer seltenen Gen-Krankheit. Vor vier Monaten begann er Videos auf TikTok hochzuladen. In kürzester Zeit zählt er nun über 21‘000 Follower.

«Mir ist wichtig, dass die Leute merken, dass ich ein normaler Mensch bin, dass ich auch dazu gehören will in der normalen Gesellschaft», sagt Phil Frei, der sich im Netz «dersprechvogel» nennt. Mit seinen Videos will er als Inkluencer andere Menschen für seine Situation sensibilisieren – mit viel Selbstironie und Witz.

Mit Humor Verständnis erreichen, kann funktionieren, sagt Urte Scholz, Psychologin an der Universität Zürich. «Humor ist wahrscheinlich keine schlechte Strategie.» Das sei ein Befreiungsschlag aus der Opferrolle: «Man ist nicht nur behindert oder krank, sondern auch ein sehr humorvoller Mensch.»

Die Kehrseite der Medaille

Auf der Suche nach Akzeptanz und Unterstützung geben Inkluencer viel von ihrer Persönlichkeit preis. «Und das birgt dann eben auch die Gefahr, dass es mal negative Rückmeldungen gibt», sagt Urte Scholz.

Ähnliches erlebt auch Robin Rehmann gelegentlich. Er thematisiert nicht nur seine eigene Krankheit, er hat als Radiomoderator bei SRF Virus auch eine Sendung ins Leben gerufen, in welcher Betroffene ohne Tabus über ihre Krankheit sprechen können. «Es gibt Leute, die möchten das löschen lassen. Weil bei der Arbeit negativ über sie gesprochen wird und dass sie das Gefühl haben, dass sie aufgrund von diesem Interview, das sie bei mir gaben, verurteilt werden.» Das seien aber nur Einzelfälle. «Für die meisten ist es eine Befreiung.»

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Im Rampenlicht der Community

Dass Inkluencer über Internet und soziale Medien Aufmerksamkeit suchen, wertet die Trendforscherin Angel Rose Schmocker nicht als etwas Schlechtes. «Denn diese Aufmerksamkeit ist auch wichtig, um der Krankheit einen Platz in der Gesellschaft zu geben.»

Das Resultat lässt sich sehen: «Ich denke, dass das Ganze zu einer Enttabuisierung von verschiedensten Krankheiten geführt hat», so die Psychologin Urte Scholz, «und dass man offener damit umgeht und leichter an Informationen kommt.»

Janine Imfeld konnte ihrer Community viel Positives abgewinnen: «Für mich war es eine Art Therapie, darüber sprechen zu können.» Auf diese Weise habe sie viele grossartige Menschen kennengelernt, die in der gleichen Situation stecken. «Man hilft sich, gibt untereinander Tipps, man ist füreinander da.» Mittlerweile hat Janine Imfeld wieder festen Boden unter den Füssen. Zurzeit ist sie krebsfrei. Doch Ihr Weg sei hart gewesen. Die Community habe auf ihrem Heilungsweg eine wichtige Rolle gespielt.

Puls, 31.08.2020, 21:05 Uhr

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