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Die «neuen Alten» wollen anders wohnen

Die klassischen Altersheime – Mehrbettzimmer, feste Schlafens- und Essenszeiten, keine Selbstbestimmung – werden immer seltener. Es entstehen ganz neue, oft unkonventionelle Betreuungskonzepte. «Puls» zeigt drei Beispiele.

In wenigen Ländern bleiben alte Menschen so lange in ihren eigenen Wänden und leben dort selbstbestimmt im eigenen Haushalt wie in der Schweiz. Das Durchschnittsalter beim Heimeintritt liegt für Männer bei 81 Jahren, für Frauen gar erst bei 85 Jahren. Bis zum Alter von 84 Jahren leben noch gut 90 Prozent zuhause. Wird das Thema Heimeintritt aktuell, steht alten Menschen heute eine Vielzahl verschiedener Angebote offen. Sie versuchen zunehmend, den verschiedenen Ansprüchen ihrer Bewohner gerecht zu werden. Diesen Trend beobachtet auch Prof. François Höpflinger, Altersexperte und Soziologieprofessor der Uni Zürich, mit dem «Puls» sich über das Leben der «neuen Alten» unterhalten hat.

«Puls »: Die Menschen werden immer älter – je älter sie sind, desto eher werden sie in Pflegeheimen betreut. Die Versorgung in der Familie nimmt dagegen ab. Steuert die Schweiz auf einen Betreuungsengpass zu?

François Höpflinger: Die Zahl der Pflegebedürftigen nimmt tatsächlich sehr rasch zu. Und es ist ganz klar so: Die familiale Pflege kann nicht mehr ausgebaut werden, da darf man sich keinen Illusionen hingeben. In der Schweiz sind die Pflegeheimplätze aber anders als in vielen Ländern durch die kommunale Altersversorgung in vielen Kantonen gut ausgebaut. Abgesehen davon zeichnet sich ein Trend hin zu mehr ambulanter Betreuung ab.

Auch viele Immigranten haben heute ein Alter erreicht, wo sie auf Hilfe angewiesen sind. Richten sich die Alterszentren speziell darauf ein, müssen sie vielseitiger werden?

Die Gruppe der älteren Immigranten wächst in der Tat. Auf die individuellen Lebensgeschichten wird zwar zunehmend Rücksicht genommen, aber prinzipiell zeichnet sich im Bereich geographisch orientierter Wohngruppen noch kein starker Trend ab, denn Immigranten werden überdurchschnittlich oft in der Familie versorgt. Viele gehen im Rentenalter auch zurück in ihre Heimat. Bedarf für solche speziellen Einrichtungen, beispielsweise mit italienischsprachigem Hintergrund, besteht deshalb höchstens in den grösseren Städten, aber auch hier sind eigentlich genügend «normale» Pflegeabteilungen vorhanden.

Die Alterszentren von heute arbeiten hart daran, ihr schlechtes Image aufzubessern.

Innerhalb der Einrichtungen findet schon seit Jahren ein grosser Wandel statt. Früher hat man sie vorzugsweise irgendwo in Randlage errichtet, heute befinden sie sich zunehmend in der Ortsmitte, sie sind sehr zentrumsorientiert. Es wird heute auch verstärkt auf die individuellen Bedürfnisse eingegangen. Zunehmend gibt es im Heimbereich immer öfter auch Mischformen, wie betreutes Wohnen und Pflege unter einem Dach. Sie sind oft wie quasifamiliale Wohngruppen konzipiert und laufen unter dem Fachbegriff «soziomedizinische Einrichtungen». Die Zentren sind dann auch ausdrücklich offen gestaltet, die Cafeteria beispielsweise steht auch der Nachbarschaft offen.

Dennoch haben sich im letzten Jahrzehnt viele neue Konzepte entwickelt, wie und wo Menschen alt werden können – Beispiel Mehrgenerationenhäuser.

Man muss sich solche Projekte aber sehr genau ansehen. Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt ganz klar: Wenn in Mehrgenerationenhäusern niemand für die Betreuung und Vermittlung der einzelnen Parteien zuständig ist, gibt es eigentlich immer Konflikte. Allein schon die Raumgestaltung ist enorm wichtig: Liegt der Fussballplatz neben den Schrebergärten der Älteren, sind Probleme vorprogrammiert. Auch die Aufteilung der Räume muss genau betreut werden, so dass die Jugendgruppe den Gemeinschaftsraum genauso nutzen kann wie die Seniorengruppe. Prinzipiell gilt: Je grösser die Anlage und je mehr Parteien, desto besser. Kinder haben mit alten Menschen eigentlich nie Probleme, andersherum kann es aber durchaus Schwierigkeiten geben. Andererseits kann es aber auch kritisch sein, wenn jüngere Senioren den Kontakt zur Jugend nützen wollen, um sich selbst zu verjüngen, und sich der 70-Jährige dann mit 16-jährigen Mädchen umgibt.

Welche Trends sehen Sie darüber hinaus?

Ein Trend sind vernetzte Haushaltsformen. Das heisst, jeder haushaltet selbst, aber man geht gemeinsam einkaufen, isst vielleicht gemeinsam, fährt sogar miteinander in den Urlaub oder teilt sich ein Auto. Das ist aber ein genereller Trend, der nicht auf ein bestimmtes Alter beschränkt ist. All diese Netzwerke sind aber privat organisiert und laufen unter dem Überbegriff «Gemeinsam allein leben». Für Junge wie Alte gewinnt die Gemeinschaft wieder stärker an Gewicht, andernfalls könnten soziale Netzwerke wie Facebook nicht so erfolgreich sein.

Auch für Demenzwohngruppen besteht ein immer grösser werdender Bedarf. Menschen, die nur körperlich eingeschränkt sind, können viel eher noch lange zuhause betreut werden. Es gibt aber nicht das eine bahnbrechend innovative Modell, sondern es sind oft die kleinen Verbesserungen, die den Unterschied machen.

1970 lebte unter den Menschen ab 65 noch etwa jeder Dritte mit drei oder mehr Personen in einem Haushalt zusammen, heute sind es nur noch fünf Prozent. Bricht der ursprüngliche Familienzusammenhalt zunehmend auseinander?

Im Gegenteil, die Beziehung zwischen den Generationen hat sich verbessert. Es gibt beispielsweise einen Vergleich zwischen der Schweiz und Burkina Faso. Dort sind die Generationen finanziell und sozial viel stärker voneinander abhängig und es gibt deshalb viel stärkere Spannungen. Hierzulande ist die familiäre Unterstützung gut geblieben, aber die Generationen sind voneinander unabhängig. Das ist ganz klar dem Wohlstand zu verdanken.

Bei all den Wohnformen, die Sie kennen: Wie würden Sie im Alter am liebsten leben?

Ich würde wahrscheinlich eine betreute Wohnform für mich auswählen, wo ich, wenn ich noch die Kraft habe, so selbständig wie möglich sein kann, aber die Grundversorgung gewährleistet ist.

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