«Verglichen mit Asbest, Rauchen oder Quecksilber ist die Elektrohypersensitivität noch viel gravierender!» Magda Havas, Professorin für Umwelt und Ressourcenstudien an der Trent University in Kanada, ahnt das Schlimmste: «Ich vermute, dass bereits heute ein Drittel der Bevölkerung vom Elektrosmog krank ist.» Havas sieht die flächendeckende Verbreitung von Mobilfunknetzen und Wireless-Internet als einen riesigen Feldversuch. Viele Leute hätten bereits heute Beschwerden, wüssten aber nicht, dass diese vom Elektrosmog kommen. «Wenn die Verbreitung von Sendeantennen und mobilem Internet weiter so stark zunimmt», so Havas, «könnte bis im Jahr 2017 gut die Hälfte aller Menschen durch Elektrosmog krank sein.»
Als Schwarzmalerei bezeichnen andere Forscher diese Theorien. Schliesslich gilt es heute in der Wissenschaft als unwahrscheinlich, dass elektromagnetische Strahlung unterhalb der Grenzwerte krank machen kann. «Ein eindeutiger Zusammenhang zwischen kurzfristiger Strahlung und Befindlichkeit ist heute nicht nachweisbar», sagt Gregor Dürrenberger von der Forschungsstiftung Mobilkommunikation an der ETH Zürich. Zwar können Strahlen biologische Veränderungen im Körper verursachen, etwa Veränderungen der Ströme und Durchblutung im Hirn, oder Veränderungen am Erbgut. Allerdings seien solche Vorgänge Alltag und würden vom Körper problemlos verkraftet. Deshalb wird vermutet, dass die Einflüsse von Handys oder WLAN-Sendern so gering sind, dass sie die Gesundheit nicht beeinträchtigen. Einzig auf längere Dauer – so Gregor Dürrenberger – könne man die Folgen noch nicht abschätzen. Dazu gibt es schlicht noch keine Studien.
Symptome von Übelkeit bis Schlaflosigkeit
Die unklare Studienlage interessiert Betroffene wenig. Für sie ist klar, dass ihre Leiden vom Elektrosmog herrühren. Als erste Symptome werden häufig ein Kribbeln, Kopfschmerzen, Tinnitus, Übelkeit oder Augenprobleme genannt. Manche Menschen verspüren ein Engegefühl in der Brust, manche kriegen Hautausschläge oder werden überempfindlich auf Geräusche.
Wenn die Betroffenen nicht ausweichen, kommen zu diesen ersten Anzeichen schwerere Beschwerden hinzu: Herzrasen, ein Zittern im ganzen Körper, Schwächeanfälle; auf längere Dauer Schlaflosigkeit, chronische Ermüdung und Depressionen. Sie berichten von Verwirrtheit und dem Verlust des Kurzzeitgedächtnisses – ähnlich einer Alzheimer-Erkrankung. Auf Dauer führe die Elektrohypersensitivität zu psychischen Erkrankungen.
Betroffene beschreiben, dass sich die Strahlenbelastung in ihrem Körper kumuliere. Waren sie länger der Strahlung ausgesetzt, brauchen sie mehrere Tage an einem strahlenfreien Ort, um wieder beschwerdefrei zu werden.
Beobachtet wird auch, dass sich die Elektrohypersensitivität (EHS) im Laufe der Zeit verschlimmert: Erst sind Betroffene oft nur auf eine Strahlenart sensibel, später kommen weitere Strahlenarten dazu und sie spüren immer feinere Strahlungen.
In Studien nicht nachweisbar
Dass es so viele verschiedene Symptome geben soll, macht viele Ärzte stutzig. Gerade dieser Umstand beweise, dass die Betroffenen verschiedenste Leiden einfach als Elektrohypersensitivität interpretieren. Sie raten dringlichst, sich von einem Arzt und von einem Psychologen auf andere Erkrankungen untersuchen zu lassen.
Die Betroffenen verneinen: Die meisten hätten erst die Symptome, bevor sie auf die Spur des Elektrosmogs kommen. Zudem haben Sie mit Selbstversuchen eindeutige Hinweise darauf gefunden, woher ihre Beschwerden kommen. . Auch für die vielen Symptome haben Elektrohypersensitive eine Erklärung parat: Da die Strahlen vor allem das Hirn und das zentrale Nervensystem stören, könne dies sehr vielfältige Leiden auslösen.
In Laborstudien konnten Elektrosensible bisher nicht beweisen, dass sie die Felder tatsächlich spüren. Wenn sie beurteilen sollten, ob sie einem elektromagnetischen Feld ausgesetzt sind oder nicht, konnten sie dies nicht mit signifikanter Sicherheit tun. Viele Elektrosensible spürten nach den Studien Symptome, obwohl sie gar nicht bestrahlt wurden. Allerdings werden solche Provokationsstudien kritisiert. Durch die Anreise seien die Teilnehmer etwa oft schon vorbelastet, zudem würden sie im Labor nur kurz den Strahlen ausgesetzt. Im Alltag aber seien sie 24 Stunden exponiert. Derzeit laufen Bemühungen, neue Studien mit Elektrohypersensitiven anzubahnen. Dabei sollen Sie zu Hause untersucht werden statt unter künstlichen Laborbedingungen.
Viele offene Fragen
Noch fehlt auf dem Gebiet viel Forschungsarbeit. Für vieles haben selbst die Wissenschaftler, welche Elektrosensible ernst nehmen, erst vage Theorien. Etwa auf die Frage, warum manche Menschen an Elektrosensibilität leiden und andere nicht. «Wir vermuten einen genetischen Zusammenhang», sagt Dominique Belpomme, ein Pariser Onkologe, der mit Elektrosensiblen arbeitet. Klar sei, dass bei den meisten Fällen ein Auslöser vorhanden sei. Es sei den meisten Betroffenen klar, wann und weshalb die Krankheit begonnen habe. «Bei den einen sind es kurze Auslöser, wie etwa ein starker Stromschlag. Bei den anderen sind es langfristige Expositionen – etwa, dass jemand 20 Jahre neben einer Hochspannungsleitung gewohnt hat oder über 10 Jahre exzessiv mit dem Mobiltelefon telefonierte.»
Betroffene suchen Schutz
Heute bleibt Betroffenen nichts anderes übrig, als sich vor Strahlen zu schützen. Mit diversen Produkten können die Strahlen abgeschirmt werden: Vorhänge und Kleider aus Stoff mit eingenähten Silberfäden, Abschirmfarbe für die Fassade, spezielles Fensterglas oder Netze, welche in den Verputz der Fassade eingearbeitet werden. Bereits gibt es zahlreiche Firmen, die sich auf baubiologische Messungen und Abschirmungen spezialisiert haben.
Eine andere Art von Schutz ist die Flucht: Häufig fliehen Elektrosmog-Betroffene an entlegene, strahlungsfreie Orte, um sich dort von ihren Symptomen zu erholen.