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Von der Pille für die Frau zum Gel für den Mann
Aus Wissenschaftsmagazin vom 11.06.2022. Bild: Stocksy / Amanda Lawrence
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Ermutigende US-Studie Verhütung für den Mann: Das Hormon-Gel lässt hoffen

Ein Haut-Gel verhinderte bei 100 Paaren jede Schwangerschaft – bei nur milden Nebenwirkungen: Die Zwischenergebnisse einer US-Studie versprechen viel.

«Wir sind begeistert von den Ergebnissen bisher», sagt Studiendirektorin Diana Blithe vom US-Forschungsförderzentrum «National Institute of Child Health and Human Development». Dass Blithe offen über Zwischenergebnisse einer laufenden Studie spricht, ist unüblich in der Wissenschaft – hat aber einen guten Grund. Dazu später.

Gemeinsam mit Forschungs-Teams an 14 Standorten weltweit testet Diana Blithe gerade ein Hormongel, das Testosteron und das Gestagen Nestoron enthält. Einmal täglich müsse der Mann sich dieses Gel auf die Schultern reiben, erläutert Blithe. Innerhalb weniger Wochen sinke die Zahl seiner Spermien drastisch – und er werde zeugungsunfähig.

Nebenwirkungen sind mild

100 Paare hätten das Hautgel bereits während eines Jahres als einziges Verhütungsmittel eingesetzt, sagt Blithe – ohne dass auch nur eine Frau schwanger geworden wäre. Weitere 100 Paare sollen noch folgen.

Woran die Wissenschaft bisher gescheitert ist

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Seit Jahren scheitern Forschende weltweit daran, eine hormonelle Verhütungsmethode für Männer zu entwickeln – die Pille für den Mann quasi. Für besonders viel Aufsehen sorgte 2011 eine grosse Studie im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation WHO.

Damals untersuchten Forschende eine Kombination aus Testosteron  und dem Gestagen Norethisteron auf ihre Verhütungswirkung und ihre Verträglichkeit.

«Die Effektivität war da», sagt der damalige Studienleiter Michael Zitzmann, Endokrinologe und Androloge an der Uniklinik Münster. Verschiedene Nebenwirkungen aber leider auch.

Einige Männer hätten wegen schwerer Depressionen stationär behandelt werden müssen, so Zitzmann. Die WHO brach die Studie daraufhin ab. Er könne diese Entscheidung durchaus nachvollziehen, sagt Zitzmann – und findet dennoch bis heute: Die WHO habe mit zweierlei Mass gemessen. Denn immerhin litten ja auch etwa zehn Prozent aller Frauen, die mit der Pille verhüten, unter Gewichtszunahme, Niedergeschlagenheit oder Libidoverlust.

«Und so war das bei diesen Männern eben auch. Man hätte genauso gut sagen können: Diese Männer hören auf mit der Studie – und die anderen machen weiter.»

Nach dem Studien-Aus zog sich die WHO praktisch komplett aus der Entwicklung einer hormonellen Verhütung für den Mann – und die Pharmaindustrie ebenso. Heute forschen weltweit nur noch rund zwei Dutzend Wissenschaftler intensiv an diesem Thema – meist mit viel Elan, aber wenig Budget.

Und was ist mit Nebenwirkungen des neuen Hormon-Hautgels? Die brachten ja schon mal einen viel versprechenden neuen hormonellen Verhütungsansatz zum Scheitern. «Manche Männer haben gar keine. Und wenn doch, sind es als mild eingestufte Nebenwirkungen», sagt Blithe. Nachtschweiss etwa, Akne oder Gewichtszunahme.

Gute Aussicht auf Marktreife

Nebenwirkungen auf die Psyche, räumt Blithe ein, seien im Moment aber schwierig bestimmbar. Denn: Wenn ein Studienteilnehmer mal ein Stimmungstief hatte – lag das dann am neuen Verhütungsgel oder an den Pandemie-Belastungen?

Hormonfeie Verhütung

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Auch an hormon-freien neuen Verhütungsmethoden für Männer wird seit etlichen Jahren gearbeitet. Die Ansätze sind sehr unterschiedlich – und unterschiedlich weit entwickelt:

Das Samenleiterventil – eine Art Kippschalter-Implantat – soll den Spermienfluss per Schalterdruck regulieren. Der Verhütungsslip und das Ultraschall-Hodenbad setzen auf Wärme-Einwirkung auf die Hoden – denn Wärme unterbindet die Spermienproduktion.

Aber auch die hormon-freien Verhütungsideen scheitern bislang oft am fehlenden Geld. Genau da setzt die US-amerikanische Non-Profit-Organisation «Male Contraceptive Initiative» MCI an: Sie sammelt Spenden – und fördert damit die Forschung an nicht-hormonellen Verhütungsmethoden für Männer.

Die besten Aussichten auf eine Marktzulassung gibt MCI-Leiterin Heather Vahdat den temporären Samenleiter-Verschlüssen: Dabei wird ein Gel in die Samenleiter des Mannes gespritzt, das wie eine Art Sieb funktioniert. Es filtert die Spermienzellen heraus und hält sie zurück. Der Körper baut die Spermien dann selbst ab.

Das sogenannte Vasalgel ist eine dieser Methoden; allerdings muss dafür noch bewiesen werden, dass sich das Gel im Samenleiter auflösen lässt und der Mann wieder zeugungsfähig wird.

Ein anderes Gel namens «Adam» soll sich nach einer bestimmten Zeit von allein abbauen. Es werde – auch mit MCI-Geldern – im Lauf des Jahres an Menschen getestet, sagt Heather Vahdat. Bis zu einer Zulassung der Gele, so schätzt sie, werde es aber noch fünf bis zehn Jahre dauern.

Der Androloge und Endokrinologe Michael Zitzmann von der Uniklinik Münster ist an der laufenden Studie mit dem Hautgel nicht beteiligt, hat die Kombination Testosteron / Nestoron aber in Vorläufer-Untersuchungen selbst schon getestet. Und er gibt keinem anderen hormonellen Verhütungsansatz für Männer bessere Marktreife-Chancen als diesem Hautgel: «Diese Methode hat im Moment die meisten Erfolgsaussichten.»

Pharmapartner gesucht

Warum nun spricht Diana Blithe so unüblich offen über ihre ersten Studienergebnisse? Aus strategischen Gründen. Sie muss das Interesse der Pharmabranche wecken, die seit einigen Jahren praktisch raus ist aus der Entwicklung hormoneller Verhütungsmethoden für den Mann. «Wichtiger als eine wissenschaftliche Publikation ist uns nämlich tatsächlich ein Produkt auf den Markt zu bringen», sagt Blithe. «Und dafür werden wir die Pharmaindustrie als Partner brauchen.»

Denn für Zulassungsanträge in den USA und Europa braucht es Daten aus einer sogenannten Phase 3-Studie. Sie muss deutlich mehr Teilnehmende umfassen als die aktuelle Phase 2-Studie – denn sie muss noch genauer zeigen, ob das neue Hormongel wirksam und sicher ist. Für eine derart grosse Untersuchung aber fehlt den bisherigen Geldgebern – der NGO «Population Council» und Diana Blithes Forschungsförderzentrum – das Budget.

Zulassung braucht noch Geduld

Tatsächlich wachse das Interesse der Pharmaunternehmen an ihrer Studie seit einigen Monaten, sagt Blithe, und sie sei zuversichtlich, einen Partner für die Phase 3-Studie zu finden. Und falls sich die ersten Zwischenergebnisse dabei bewahrheiten – wann könnte das Gel frühestens auf den Markt kommen? «Wahrscheinlich in acht Jahren.»

Wissenschaftsmagazin, 11.06.2022, 12:40 Uhr

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