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«Experiment zuckerfrei» Weniger süss leben: Was bringen vier Wochen Zuckerverzicht?

Vier Freiwillige haben einen Monat lang die Finger vom Extrazucker gelassen. Mit bemerkenswerten Resultaten.

Hand aufs Herz: Wie viele Löffel Zucker nehmen Sie in Ihren Kaffee? Wie viel Honig in den Tee? Wie oft stillen Sie im Laufe des Tages ihren Hunger mit einem kleinen Snack oder greifen aus schierer Gewohnheit zu etwas Süssem? Und wie sieht es mit der Anzahl Fertiggerichte im Kühlschrank aus?

Ertappt? Keine Sorge, Sie sind in bester Gesellschaft. Denn Herr und Frau Schweizer lieben es süss. Zuckersüss.

Sagenhafte 40 Kilo Haushaltszucker konsumieren wir im Schnitt pro Kopf und Jahr. Mehr als doppelt so viel wie von der Wissenschaft empfohlen. Mit wenig überraschenden Konsequenzen für Körper, Geist und Seele: Übergewicht, Diabetes, Herzinfarkt, Stress und Depressionen.

Wir wissen es, kommen aber häufig trotzdem nicht dagegen an.

Wir sollten weniger süss leben, keine Frage. Aber wie viel besser ginge es uns tatsächlich, wenn wir auf den täglichen Extrazucker konsequent verzichten würden?

Das SRF-Gesundheitsmagazin «Puls» wollte es wissen und lancierte das «Experiment zuckerfrei»: Was bewirkt ein Monat ohne zugeführten Extrazucker? Über 400 Interessierte bewarben sich für die Teilnahme, drei Frauen und ein Mann wurden schliesslich ausgewählt – vier Menschen, bei denen sich der Hang zum Süssen ganz unterschiedlich äussert.

Die Teilnehmenden am Zucker-Experiment

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Die Teilnehmer
Legende:

Susanne Strassmann hat eine Schwäche für Blätterteiggebäck mit Zucker. Und für Schokolade. Beides hat sie immer auf Vorrat in einem Geheimfach, das vor süssen Sachen regelrecht überquillt. «Es macht mich manchmal richtig wütend, wie wenig ich mich im Griff habe. Dann denke ich ‹gopf, jetzt hast Du dich wieder nicht zusammenreissen können, obwohl Du genau weisst, dass es Dir nicht gut tut!›»

Getreide-Riegel mit Schoko-Überzug: das Laster von Peter Ottiger. Der Softwarespezialist wohnt am Vierwaldstättersee und geht nach Feierabend gerne noch aufs Brett. «Wenn ich mich so ein wenig körperlich betätigt habe, belohne ich mich oft mit Süssigkeiten. Ich habe ja was getan, da darf das sein...»

Für Marlis Toneatti ist die Kombination aus Schokolade und Guetzli unwiderstehlich. Die selbständige Architektin kämpft seit Jahren mit ihrem Gewicht. Zwölf bis vierzehn Stundentage sind bei ihr keine Seltenheit. Zeit für gesunde Mahlzeiten fehlt ihr deshalb öfters. «Wenn ich morgens vergesse, etwas mitzunehmen, steche ich in den nächsten Laden und schnappe mir das Erstbeste, das ich gerne habe – meist etwas Süsses.»

Einen Tag ohne Schokolade gibt es auch bei Sandrine Benz nicht. Im Schnitt kommen pro Tag zwei Tafeln zusammen. Sie ist Sportlehrerin und trainiert auch privat 20 Stunden pro Woche. So kann sie die Zucker-Kalorien zwar locker kompensieren, doch: «Ich habe schon etwas den Eindruck, dass mein Zuckerkonsum entgleist ist. Das würde ich gerne wieder in den Griff bekommen.»

Das Quartett unterzog sich zu Beginn einem eingehenden Gesundheits-Check. Resultat: Die drei Bewegungsmuffel hatten Übergewicht und zu viel Körperfett. Beide Frauen hatten zudem erhöhten Blutzucker, und bei einer waren auch die Blutfettwerte zu hoch.

Nur die Sportlerin startete – wenig überraschend – mit durchwegs gesunden Werten ins Experiment. Ihre Hauptsorge war denn auch eine andere: Wird ihre Leistungsfähigkeit unter dem plötzlichen Schokoladeentzug leiden?

Die Vorgabe der Ernährungsberaterin für die kommenden vier Wochen:

  • Zucker in Form von Stärke wie Brot, Teigwaren, Kartoffeln reduzieren.
  • Keine Süssigkeiten.
  • Keine Süssgetränke.
  • Keine Fruchtsäfte.
  • Ganz allgemein: Produkte mit viel Zucker meiden.
  • Erlaubt sind drei Hauptmahlzeiten, aber keine Snacks dazwischen.

Zur Halbzeit neue Gewohnheiten

Zwei Wochen später: Halbzeit des Experiments. Peter Ottiger und Marlis Toneatti können den süssen Sachen gut widerstehen.

Susanne Strassmann macht es mehr Mühe – sie ertappt sich bei einer neuen Angewohnheit: «Ich habe plötzlich damit begonnen, Halbrahm zu trinken. Nur so ein Schlückchen, wenn ich eh in den Kaffee getan habe. Der hat halt so einen leicht süsslichen Geschmack...»

Sandrine Benz schafft ihr Sporttraining auch ohne Schokolade. Und das Weglassen der süssen Snacks hat ihren Alltag merklich verändert: Kochen ist wieder angesagt. «Mir ist in den ersten Tagen bewusst geworden, dass nicht nur mein Schokladekonsum entgleist ist, sondern eigentlich meine ganze Alltagsernährung.»

Das erste Mal seit Jahren kommt sie wieder auf fünf Portionen Früchte und Gemüse pro Tag.

Nach einem Monat klare Verbesserungen

Wieder zwei Wochen später: Das Quartett trifft sich zum Abschluss des Experiments erneut zum Check von Blutwerten, Körperfett und Gewicht. Und hat durchs Band Positives zu berichten.

Peter Ottiger kann seinen Gürtel deutlich enger schnallen. Marlis Toneatti hat mehr Energie. Sandrine Benz ist weniger müde. Und Susanne Strassmanns Blutzucker hat sich derart verbessert, dass sie wenig später sogar die Diabetesmedikamente absetzen kann.

Die Veränderung nach vier Wochen

Deutlicher Gewichtsverlust und deutlich bessere Messwerte: Wie stark sich ein Monat ohne Extrazucker auswirkt, beeindruckt auch den Stoffwechselexperten Philipp Gerber. «Alle Werte haben sich mit der Zuckerreduktion in die richtige Richtung entwickelt – nach nur vier Wochen.»

Das Erreichte ist aber nicht nur dem Zuckerverzicht zu verdanken. Durch das Experiment haben sich auch die Ernährungsgewohnheiten bei allen vier radikal verändert. Was mit zum beachtlichen Gewichtsverlust geführt hat, der sich deutlich in den Laborwerten niederschlägt.

«Mit jedem Kilo, das man verliert, reduziert sich auch das ungünstige Fettgewebe. Und die positiven Stoffwechseleffekte werden sich weiter zeigen», weiss Philipp Gerber.

Dranbleiben lohnt sich also. Doch Ernährungsberaterin Melanie Sprenger weiss aus leidiger professioneller Erfahrung, wie schwer dies fällt, wenn der Kontroll-Druck wegfällt. Die Herausforderung besteht darin, die geänderten Gewohnheiten im Alltag beizubehalten. Vor allem, wenn im Speiseplan ab sofort Süssigkeiten im Mass wieder erlaubt sind.

«Ab und zu etwas Süsses am Mittag oder Abend direkt nach dem Essen ist aber kein Problem. Wenn man keinen Hunger mehr hat, fällt es leichter, das als reinen Genuss zu nehmen.»

Grössere Desserts empfiehlt sie höchstens zwei bis drei Mal die Woche.

Was unser Körper an Zucker braucht, kann er selber herstellen.
Autor: Anne Christin Meyer-Gerspach Ernährungswissenschaftlerin

Zucker ist ein reines Genussmittel. Das betont auch Anne Christin Meyer-Gerspach, die am Basler Claraspital seit Jahren über Zucker forscht: «Er wird ganz vielen Produkten zugesetzt, weil’s schmeckt, nicht weil wir ihn brauchen. Was unser Körper an Zucker braucht, etwa für das Gehirn oder die roten Blutkörperchen, kann er selber herstellen.»

Hier versteckt sich der Zucker

Wer Zucker aus dem Weg gehen will, muss allerdings erst einmal herausfinden, wo er überall drinsteckt. Dabei hilft in erster Linie die Zutatenliste auf den Produkteverpackungen: Je früher Zucker darin aufscheint, desto mehr ist davon enthalten.

Doch Zucker hat viele Namen: Etwa Traubenzucker, Honig, Milchzucker oder Fructose. Das klingt gesünder, als es ist. Denn egal, ob Honig, Ahornsirup oder Fruchtzucker (der vermeintlich aus Früchten kommt) verwendet wird: Als Süssungsmittel zugesetzt sind sie alle keine Spur besser als normaler Haushaltszucker.

Fructose/Fruchtzucker ist sogar schädlicher, weil wir ihn schlechter verdauen und er nicht sättigt.

Süssstoffe als Alternative?

Gesunden zugesetzten Zucker gibt es also nicht. An unserem genetisch verankerten Hang zum Süssen – «süss» war für unsere Vorfahren ein wichtiges Zeichen für «essbar» – ändert dieses Wissen aber wenig.

Die Wissenschaft forscht deshalb schon länger an Süssstoffen ohne Kalorien. Die haben allerdings einen zweifelhaften Ruf und sollen sogar dick machen. Dem Mechanismus dahinter ist Anne Christin Meyer-Gerspach mit einem Experiment auf die Spur gekommen (siehe Box).

So macht Süssstoff dick

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Zunehmen trotz bewusstem Umstieg auf Produkte, die mit Zuckerersatz gesüsst sind? Wie das möglich ist, hat Anne Christin Meyer-Gerspach in einem Experiment untersucht.

Testpersonen wurde Zucker oder ein Süssstoff über eine Magensonde verabreicht. Danach wurde geprüft, wie Magen und Darm reagieren.

Das Ergebnis:

  • Der kalorienreiche Zucker dockt im Darm an bestimmten Zellen an. Diese besitzen Geschmacksrezeptoren, ähnlich wie die Zunge. Die Zellen reagieren auf den süssen Zucker und schütten Verdauungshormone aus. Diese Hormone bewirken unter anderem, dass sich die Magenwand langsamer bewegt. Der Magen bleibt länger voll und die Testpersonen länger satt.
  • Erhalten die Darmzellen hingegen Süssstoff vorgesetzt, werden im Darm keine solchen Verdauungshormone ausgeschüttet. Der Magen bewegt sich weiter und ist schneller wieder leer, der Hunger wieder da.

Gesucht ist also ein kalorienarmer Süssstoff, der satt macht. Den haben die Basler Forscherinnen nun entdeckt, als sie zwei weitere Zuckerersatzstoffe untersuchten: Erythrit, das aus Glukose gewonnen wird, hat keine Kalorien.

Xylit, auch bekannt als Birkenzucker, hat ungefähr halb so viele Kalorien wie Haushaltszucker. «Dennoch haben beide das Sättigungssystem im Darm aktiviert, und die Magenentleerung wurde verlangsamt», erklärt Anne Christin Meyer-Gerspach den Unterschied zu künstlichen Süssstoffen mit Dickmacherpotenzial.

Was für die Balser Forscherin aber klar ist: Es braucht noch viel Forschung bis man die Wirkung von Süssstoffen im Körper genau kennt. Und: Eine Lösung für das Zuckerproblem können auch Süssstoffe nicht sein.

«Wir nehmen heute wirklich massiv zu viel Zucker zu uns. Das Ziel kann nicht sein, diesen 1:1 zu ersetzen. Viel wichtiger ist es, dass wir uns an einen weniger süssen Geschmack gewöhnen.»

Also: Zucker reduzieren, weniger Süsses konsumieren – und was übrig bleibt, durch gesündere oder gesunde Alternativen ersetzen.

«Puls»-Serie

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Legende: srf

Alle Folgen und weitere Informationen zum Thema im Online-Dossier des Experiments.

Puls, 17.08.2020, 21:05 Uhr

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