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Extrem-OP (3) «Das war kein Leben mehr für mich»

Operieren, oder nicht? Hochriskanter Eingriff oder ständige Verschlechterung? Für Jacqueline Schneider war die Entscheidung schnell gefällt, sich der Extrem-OP zu unterziehen.

Zur Person

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Eine Ärztin untersucht die Narbe der Patientin
Legende: SRF

Chronischer Lungenhochdruck schränkte Jacqueline Schneider zunehmend ein. Die einzige Chance auf Besserung: Pulmonale Endarteriektomie. Dabei werden die pulmonalen Arterien ausgeschält – ein extrem riskanter Eingriff, weil es leicht zu lebensgefährlichen Gefässverletzungen kommen kann.

Im Frühjahr diesen Jahres stand Jacqueline Schneider vor einer schwierigen Entscheidung: Sollte sie einem hochriskanten Eingriff zur Behandlung ihres chronischen Lungenhochdrucks zustimmen – auch wenn das bedeutet, dass sie während der Operation zweimal 20 Minuten quasi tot ist, während eine Chirurgin versucht, in ihrem blutleeren Körper Gefässe des Lungenkreislaufs von Verengungen zu befreien? Oder sollte sie sich in die fortschreitende Verschlechterung ihrer Sauerstoffversorgung fügen, ohne Aussicht auf Besserung?

Für die 49-Jährige war die Entscheidung relativ klar. Fünf Monate später zieht sie ein einstweiliges Fazit.

SRF: Wie sehr haben Sie mit sich gerungen, einen so riskanten Eingriff durchführen zu lassen?

Jacqueline Schneider: Ich hatte ja nur zwei Möglichkeiten: entweder das Risiko eingehen und operieren oder es sein lassen und dann langsam dahinsiechen. Ich wusste: Die Operation ist schwierig, aber ich kann weiterleben. Das Leben vor der Operation war nicht mehr schön und die Einschränkungen wären immer grösser geworden. Ich habe gerade noch die Treppen im Haus geschafft, aber wenn ich die 100 Meter zum Bus gelaufen bin, musste ich zwei-, dreimal anhalten, um Luft zu bekommen. Ich konnte nicht einmal mehr einkaufen gehen.

Ich habe das Leben zu gern, um einfach nur zu warten, bis es fertig ist.
Autor: Jacqueline Schneider

Das ist kein Leben für mich, ich laufe gern zügig und bin anderes gewöhnt. Ich habe das Leben zu gern, um einfach nur zu warten, bis es fertig ist. Wenn man also etwas machen kann, dann sollte man das auch probieren.

Sie sehen den Eingriff erstaunlich gefasst und rational. War Ihre Familie genauso?

Meine Mutter hat gar nicht genau gewusst, wie riskant der Eingriff ist, sie hätte sonst zu viel studiert. Wir mussten also darauf achten, dass niemandem in ihrer Gegenwart etwas herausrutscht. Das war auch für uns nicht schön, denn wir sind eine Familie, die sonst sehr offen und ehrlich über alles miteinander redet. Aber wir wussten einfach, wie sie reagieren würde.

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Eine riskante OP wagen oder bald an Herzversagen sterben? «Puls» begleitet eine Patientin, die vor dieser Wahl steht.

Alle Folgen der Serie

Meine Schwester und mein Mann dagegen haben mich die ganze Zeit begleitet und unterstützt. Speziell mein Mann hat gemerkt, dass ich, die Selbständige, plötzlich wegen jedem Bisschen seine Hilfe gebraucht habe. Ich habe mich ins Schneckenhaus zurückgezogen, wollte und konnte nichts mehr unternehmen. Mir war am wohlsten daheim in der Horizontalen.

Ein Rückzieher von der OP war deshalb für mich keine Option, auch nicht, als meine Schwester Zweifel wegen der Risiken beschlichen haben. Ich glaube, mein Mann und meine Schwester haben mehr gelitten als ich. Denn während der kritischen Zeit habe ich ja geschlafen, die beiden sind aber auf Nadeln gesessen. Sie wussten ja, was passieren kann.

Beschleicht Sie nicht nachträglich noch ein klammes Gefühl, wenn Sie beispielsweise Ihre Operation im Fernsehen aus der anderen Perspektive miterleben?

Ich finde es eher interessant, wahrscheinlich, weil ich ein Typ bin, der nach vorne schaut. Das alles ist vorbei, mir geht es gut, jetzt kann es nur noch bergauf gehen. Den ersten und zweiten Beitrag im Fernsehen habe ich aber zu ihrer Beruhigung mit meiner Mutter zusammen angeschaut. Für sie war es schlimm, sie wusste ja nicht, wie ernst es war. Sie war auch wirklich schockiert, aber ich habe ihr gesagt: Schau mich an, ich sitze neben dir, mir geht es jetzt gut.

Ich habe mir gedacht: Ich bin wach, das ist schön.
Autor: Jacqueline Schneider

Was war Ihr erster Gedanke nach dem Aufwachen?

Ich habe mir nur gedacht: Ich bin wach, das ist schön. Ich habe gemerkt, dass eine Person vor mir steht und wollte sofort mitteilen, dass es mir gut geht. Ich hatte aber den ganzen Hals voller Schläuche, das fand ich extrem mühsam. Eine Nacht musste ich so durchhalten, dann waren die Schläuche weg und ich konnte wieder reden.

Wie schwer waren die ersten Wochen?

Ich war ungefähr drei Wochen im Spital, danach war ich in der Reha. Ich muss aber sagen: Ich bin erstaunlich schnell wieder da gewesen. Das Atmen war sofort viel besser, aber der Körper war nach der Operation und der Zeit im Spital noch nicht wieder fit. Ich habe aber jeden Tag gemerkt, es geht vorwärts. Mir ist es gut gegangen, so gut, dass ich oft mehr gewollt habe, als ich durfte.

Timeline

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Der Operationstag von Jacqueline Schneider glich einem Marathon – für Chirurgin und Patientin. Die interaktive Timeline zeigt, was während des hoch riskanten Eingriffs wann geschah.

24 bange Stunden

Nach zwei Wochen in der Reha habe ich beschlossen, wieder heim zu gehen. In der gewohnten Umgebung mit Menschen, die ich kenne, werde ich schneller wieder gesund. Dazu war das Wetter schön. Ich habe jeden Tag für mich ausgelotet: Wie weit komme ich, was kann ich alles machen? In der Reha haben sie mich eher gebremst. Aber jeder reagiert anders. Ich bin einfach der Typ, der seinen Körper so weit herausfordert, bis ich merke, es geht nicht mehr.

Zum Glück ist die Operation gut ausgegangen. Wie geht es Ihnen jetzt, fünf Monate nach der Operation?

Es wird von Woche zu Woche besser. Es gibt sicher noch Bereiche, in denen ich eingeschränkt bin. Beispielsweise wenn ich Treppen steige mit etwas Schwerem in der Hand oder schwere Dinge hebe. Das braucht seine Zeit.

Was erhoffen Sie sich jetzt, haben Sie Pläne?

Ich nehm's, wie's kommt, ich habe keine Pläne und lasse mich überraschen. Hauptsache, es geht immer weiter aufwärts.

Das Gespräch führte Helwi Braunmiller

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