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Medikamente statt Stents – Wann kommt der Wandel?
Aus Puls vom 06.01.2020.
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Fehlanreize in der Kardiologie Im Zweifel für den Stent – weil es sich für Ärzte rechnet

Operation statt Medikamente: In der Schweiz wird seit Jahren viel zu oft gestentet. Und es ist keine Besserung in Sicht.

Kardiologen retten Leben. Mit Hilfe des Herzkatheters setzen sie Stents, können verengte Herzkranzgefässe öffnen und so die Blutversorgung des Herzens im Notfall sichern.

Bei Patienten, die zwar Brustschmerzen, aber nur ein kleines Infarktrisiko haben, sind Stents im Vergleich zu einer konservativen Therapie mit Medikamenten und mehr Bewegung nicht besser in Bezug auf die Sterblichkeit.

Das zeigt die neuste Ischemia-Studie und ist eigentlich keine neue Erkenntnis.

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«Eine Intervention bringt vorübergehend Linderung. Das motiviert nicht speziell zur Änderung des Lebensstils.»
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Das bestätigt auch Jochen Schuler. Der Salzburger Kardiologe hat früher selber gestentet. Heute setzt er vermehrt auf konservative Behandlung. Mit Erfolg.

«Ein Stent bringt vorübergehende Linderung. Den Patienten geht es schnell besser, weil die Engstelle weg ist», weiss Schuler. Auf lange Sicht sei dies aber sogar eher kontraproduktiv, weil ein unmittelbarer Anlass für die notwendige Änderung des Lebensstils fehle. «Es geht einem ja wieder gut. Das motiviert nicht speziell dazu, sich anders zu ernähren oder mehr zu bewegen.»

Dabei zeigen diverse Studien in den vergangenen zehn Jahren und auch die aktuelle Ischemia-Studie, dass es genau darauf ankommt.

Erst die Abklärung, dann den Stent

Liegt kein Notfall vor, lässt sich heute gut abklären, ob sich das Risiko einer Stent-Operation wirklich lohnt oder nicht: mit Computertomografie, MRI oder auch einer Druckmessung im Blutgefäss.

Doch solche Abklärungen werden zu selten gemacht, ergab eine Studie der Universität Zürich bereits vor fünf Jahren. «Fast 40 Prozent aller Patienten erhalten ohne Abklärung ein Herzkatheter oder gar einen Stent», bestätigt Thomas Rosemann, Direktor des Instituts für Hausarztmedizin.

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«Unsere Studie hat gezeigt, dass fast 40 Prozent aller Patienten ohne vorherige Abklärung im Herzkatheter landen.»
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All dieses Wissen aber löste in der Praxis bisher keine Reaktion aus. Im Gegenteil: In der Schweiz schossen Herzkatheter-Labore wie Pilze aus dem Boden.

Knapp 40 Zentren sind es heute. Pro Einwohner mehr als doppelt so viele wie zum Beispiel in England.

Entsprechend nahmen die Eingriffe Jahr für Jahr zu. Die Schweiz liegt mit diesen Zahlen in Europa ganz weit vorne.

Tabelle
Legende: SRF/PULS

Mehr Katheterlabore führen zu mehr Eingriffen. Diese einfache Gleichung ist für Jochen Schuler klar, «denn diese Labore müssen bespielt werden.»

Und das Abrechnungssystem verstärkt den Fehlanreiz noch: «Wenn man nur Koronardiagnostik macht und dann konservativ behandelt, ist der Erlös deutlich kleiner als bei einem Eingriff.»

Konkret: Ein Herzkatheteruntersuchung ohne Stent bringt einem Schweizer Spital je nach Standort durchschnittlich rund 5000 Franken ein. Mit Stent sind es gut 10'000 Franken.

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«Die Ökonomisierung der Medizin führt zu einem gewissen Druck, die Zahlen hochzufahren.»
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Ein lukratives Geschäft, bestätigt Kardiologe Thomas Lüscher. Er ist seit Beginn der Katheter-Entwicklung hautnah dabei; lange Jahre am Zürcher Unispital, heute in London. «Es besteht natürlich ein gewisser Druck, mehr zu operieren. Das ist systemimmanent und liesse sich nur politisch ändern, wenn die Verrechnung nach Qualität und nicht mehr nach Quantität erfolgen würde.

Einen Schritt weiter geht Jochen Schuler: «Katheterlabore, die wiederholt gegen vernünftige Entscheidungen verstossen, sollte man in irgendeiner Form bestrafen.»

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«Ein System, das Qualität statt Pauschalen verrechnet, wäre begrüssenswert.» Studiogespräch mit Stephan Windecker, Direkter Kardiologie am Inselspital Bern.
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