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Gehirn-Computer-Schnittstellen Hirnimplantate geben zwei Frauen ihre Sprache zurück

Seit Jahren tüfteln Forschende daran, wie gelähmte Menschen wieder fliessend sprechen können. Gleich zwei amerikanischen Forschungsgruppen sind hier nun grosse Fortschritte gelungen, die Betroffene hoffen lassen.

Ann sitzt im Rollstuhl. Seit einem Schlaganfall ist die heute 47-jährige Frau gelähmt und kann nicht mehr sprechen. Um mit ihrem Mann zu kommunizieren, wählte sie bisher mithilfe einer speziellen Brille einzelne Buchstaben auf einem Bildschirm aus und setzte so Wort für Wort zusammen. Das ist anstrengend und es dauert. Normalerweise, denn neuerdings geht alles ganz schnell.

Implantat übersetzt Hirnaktivität in Sprache

Möglich macht das eine sogenannte Gehirn-Computer Schnittstelle. Eine Schnittstelle also, die das menschliche Gehirn mit einem Computer verbindet und es so ermöglicht, per Gedanken mit der Umwelt zu kommunizieren. Im Fall von Ann ist es ein dünner Film mit rund 250 Elektroden. Dieser hat ihr der Neurochirurg Edward Chang von der Universität von Kalifornien in San Francisco unter die Schädeldecke implantiert. Dort messen die Elektroden die elektrischen Gehirnsignale, die entstehen, wenn Ann etwas sagen möchte.

Lange war das eine Blackbox: «Erst vor rund fünf, sechs Jahren haben wir begonnen, die elektrischen Muster wirklich zu verstehen, die zu den Bewegungen der Lippen, des Kiefers und der Zunge führen und schliesslich die spezifischen Laute der einzelnen Konsonanten und Vokale in Wörtern erzeugen», sagt Edward Chang.

Mit neuen cleveren Algorithmen ist es den Forschenden nun gelungen, die Signale für die einzelnen Sprachlaute zu entschlüsseln und sie zu Wörtern und Sätzen zusammenzusetzen. Um Fehler zu verringern, laufen diese Sätze durch ein Sprachmodell. Es schaut, ob die daraus entstandenen Sätze Sinn machen und schlägt Alternativen vor.

Schneller als je zuvor

Das Resultat von 78 Wörtern pro Minute sei ein Meilenstein, sagt Chang. Ann spricht damit ziemlich genau halb so schnell wie ein gesunder Mensch. Doch nicht nur sie: Einer anderen Forschungsgruppe gelang zeitgleich bei einer anderen gelähmten Patientin fast das Gleiche. Die Methoden sind sehr ähnlich. Die beiden Frauen sprechen aber nicht nur schneller, auch ihr Wortschatz ist viel grösser als was bisher möglich war.

Ist das jetzt also der Durchbruch für Betroffene? Die Resultate seien sehr beeindruckend, sagt Roger Gassert, Professor für Rehabilitationstechnologie an der ETH Zürich. «Bis das so in den Alltag übertragen werden kann, gibt es aber noch sehr viele Herausforderungen».

Noch ein weiter Weg

Eine sei die Fehlerquote: Aktuell werden rund drei von vier Wörtern richtig übersetzt. Das sei noch zu wenig. Eine andere Hürde ist das Kabel, das am Kopf der Patientinnen festgeschraubt werden muss. Das sei nicht nur unpraktisch, sondern auch gefährlich, da sich die Öffnung im Schädel infizieren könne. Auch offene Fragen gelte es erst zu klären, beispielsweise wie lange die Elektroden im Gehirn ihren Job zuverlässig erledigen. Für den Heimgebrauch sei es zudem noch zu kompliziert.

Dieser Hürden sind sich auch die Forschenden der beiden Studien bewusst. Sie wollen da aber unbedingt dranbleiben, damit aus dem Laborprototyp dereinst ein medizinisches Gerät werden könnte, das gelähmten Menschen ihre Sprache zurückgibt.

Rendez-vous, 05.09.2023, 12:30 Uhr

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