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Ein Mann und eine Frau, rennend in einer felsigen Landschaft
Legende: IMAGO / blickwinkel

Gendermedizin Profitieren Frauen mehr von Sport als Männer?

Frauen gewinnen mehr, wenn sie Sport treiben – für ihre Gesundheit. Und das ist wichtig, sterben doch entgegen der weitverbreiteten Meinung ähnlich viele Frauen wie Männer an der häufigsten Todesursache, den Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Wenn Frauen Sport treiben, senkt das ihr Sterberisiko schneller und markanter als bei Männern. Eine neue Studie zeigt, dass Männer den besten Effekt mit fünf Stunden Sport pro Woche erreichen. Denselben Effekt haben Frauen bereits mit 140 Minuten Training. Und erreichen ein tieferes Sterberisiko als die sportlich tätigen Männer, wenn sie sich bis zu fünf Stunden pro Woche bewegen. 

Mehr zur Sport-Studie 

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Für diese Studie wurden über 400'000 US-Erwachsene (55 Prozent Frauen, 45 Prozent Männer und keine Angaben zu nicht binären und intergeschlechtlichen Menschen) befragt. Und zwar zu ihren sportlichen Freizeitaktivitäten, genauer zur Häufigkeit, Dauer, Intensität und Art des Sportes.

Die Forschenden wollten herausfinden, ob Sport je nach Geschlecht unterschiedlich starke Gesundheitsvorteile bringt. Das Ergebnis: Bei Männern sinkt das Sterberisiko mit drei Stunden Sport pro Woche um 15 Prozent. Frauen können ihr Sterberisiko mit drei Stunden Sport sogar um 24 Prozent senken.

Die Befragungen fanden regelmässig von 1997 bis 2019 statt. Das Fazit der Forschenden: Diese Daten können dabei helfen, den beobachteten Gender-Gap im Sport zu schliessen. Damit ist die Beobachtung gemeint, dass Mädchen und Frauen weniger Sport treiben als Buben und Männer. Die Hoffnung: Mit diesen Ergebnissen weibliche Menschen zu mehr Sport motivieren zu können.

Die Ergebnisse wurden im Februar 2024 in einem Fachjournal der Kardiologie publiziert.

Sport als Prävention vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen 

Für Corinna Brunckhorst, Professorin und Leitende Ärztin in der Kardiologie am Universitätsspital Zürich, ist diese Studie wichtig. Denn sie zeigt einmal mehr: «Sport schützt vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Und das ist für Frauen wie Männer bedeutsam». Denn Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind die Todesursache Nummer eins in der Schweiz.  

Todesursachen in der Schweiz (2022)

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  1. Herz-Kreislauf-Erkrankungen (27.5 Prozent) 
  2. Krebs-Erkrankungen (23.1 Prozent) 
  3. Demenz (8.8 Prozent) 
  4. Atemwegserkrankungen (6.1 Prozent) 
  5. Covid-19 (5.5 Prozent)

Quelle: Todesursachenstatistik 2022, Bundesamt für Statistik. Durchschnittliches Alter der Verstorbenen: 77 Jahre (Männer), 83 Jahre (Frauen). Im Jahr 2022 verstarben 74’425 Personen der Schweizer Wohnbevölkerung. 

Auf dem Bild ist ein Diagramm zu sehen.
Legende: Häufigste Todesursachen nach Alter und Geschlecht, 2022. BFS – Todesursachenstatistik (CoD)

Und was viele nicht wissen – Frauen (damit ist hier das biologische und soziale Geschlecht gemeint) haben über das gesamte Leben ein ähnlich hohes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Männer.  

Gendermedizin, Geschlecht, Sex und Gender kurz erklärt 

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Bei einer geschlechtssensiblen Medizin wird die Kategorie Geschlecht miteinbezogen. In der Vergangenheit wurden Studien fast ausschliesslich am männlichen Körper durchgeführt. Daher sind Angaben zur Verträglichkeit von Medikamenten und dem Wissen zu Krankheiten und deren Symptomen wie dem Herzinfarkt von Männern sehr bekannt, jedoch wissen wir wenig über Frauen, nicht binäre oder intergeschlechtliche Menschen. 

Der Begriff «Geschlecht» beinhaltet Sex (das biologische Geschlecht aufgrund von Chromosomen, Hormonlevels und Organen) und Gender (das soziale, gelebte und gefühlte Geschlecht). Mithilfe von Gender können unterschiedliche gesellschaftliche Erwartungen und Zuschreibungen an Frauen und Männern benannt werden, wie zum Beispiel, wer gut in Mathematik ist, wer in Handarbeit, von wem erwarten wir ein Durchgreifen, von wem eine vermittelnde Rolle, wer trägt die Haare wie, wer ist gut im Sport und vieles mehr. Diese Annahmen wirken auf die Selbstwahrnehmung und können wiederum Effekte auf den Körper haben, wie zum Beispiel Rückenprobleme aufgrund von mangelnder Bewegung oder körperliche Reaktionen aufgrund von Stress.  

Wichtig bei Studien zum Geschlecht ist es, dass das biologische Geschlecht linear verstanden wird.  

« Kurz erklärt: Das bedeutet LGBTIQ+ »

Östrogen schützt Frauen bis zur Menopause 

Östrogen schützt die Gefässe. Mit der Menopause sinken die Östrogenwerte. Damit fällt der Schutzmechanismus weg und die Zahl an Herz-Kreislauf-Erkrankungen steigt rasant an. «Gefässerkrankungen treten bei Frauen etwa zehn Jahre später als bei Männern ein. Doch holen Frauen auf, sind oft stärker davon betroffen und die Folgen sind gravierender», so Corinna Brunckhorst.  

Genderaspekt in Studien 

Solche Befunde bleiben oft im Dunkeln, da Studien vor allem mit Männern durchgeführt werden. Doch zeigt sich, dass diese Erkenntnisse über den männlichen Körper nicht auf alle übertragen werden können.

Klinische Studie fast nur mit weissen Männern 

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Schwere, unerwünschte Nebenwirkungen sind bei Frauen fast doppelt so wahrscheinlich wie bei Männern und lassen sich nicht einfach durch Unterschiede beim Körpergewicht erklären. Und auch heute noch sind Frauen und noch mehr nicht binäre Menschen in klinischen Studien deutlich untervertreten.  

Argumentiert wurde unter anderem, dass Frauen aufgrund eines schwankenden Hormonzyklus die Testgenauigkeit gefährden. Daher gelten bereits im Labor männliche Tiere als Standard.

Doch eine neuere Studie von 2023 zeigt, dass männliche Mäuse unberechenbarer sind als weibliche Mäuse. 

Und unabhängig davon, ob das für Menschen auch so gilt oder nicht: Sobald Unterschiede bei der Aufnahme von Medikamenten und anderen medizinischen Abläufen beobachtet werden, ist es ein Wissensgewinn, wenn diese Kategorie in Studien berücksichtigt wird.

Es wird sich zeigen, ob dafür die Unterscheidung nach der Kategorie Geschlecht ausreicht. Oder ob wir in Zukunft mithilfe einer personalisierten Medizin Behandlungen aufgrund von individuellen Faktoren wie genetischen Daten und Hormonlevels und sozialen Einflüssen wie Gender oder Race aufschlüsseln werden. 

Denn nicht nur der fehlende Einbezug aller Geschlechter in der Medizin ist problematisch. Die meisten medizinischen Illustrationen, auch in dermatologischen Fachbüchern, bilden fast ausschliesslich weisse Menschen ab. Das führt zu Fehldiagnosen bezüglich Hautkrankheiten. Und fördert die Annahme, dass weisse Menschen als Norm für alle gelten.

Der Medizinstudent und Illustrator Chidiebere Ibe will das ändern, um die Vielfalt der Menschen abzubilden. Er hat 2021 eine selbst angefertigte Zeichnung eines schwarzen Fötus in einem schwarzen Mutterlaub online gestellt. Diese Illustration hat medial zu viel Aufmerksamkeit geführt.

Doch die Interpretation solcher Resultate benötigt eine gewisse Vorsicht. Denn nur, weil ein Unterschied zwischen den Geschlechtern gefunden wird, heisst das nicht, dass es nur biologische Gründe dafür gibt. Dafür hilft die Unterscheidung von Sex und Gender. 

Gender und Sport 

«Gender» steht für das gelebte und gefühlte Geschlecht und die unterschiedlichen gesellschaftlichen Erwartungen an Männer und Frauen. Auch wenn viele hoffen, dass wir frei von solchen Rollenstereotypen sind, zeigen Studien, dass solche Vorstellungen in unserer Gesellschaft sehr präsent sind. Solche Annahmen gibt es auch bezüglich Sport. Dazu Corinna Brunckhorst: «Buben, die gut im Sport sind, werden als cool angesehen. Bei Mädchen sind gesellschaftlich häufig andere Aspekte, wie zum Beispiel das Aussehen, entscheidend, ob sie als attraktiv wahrgenommen werden.» Diese Geschlechter-Stereotypen beeinflussen möglicher- und bedauerlicherweise die Einstellung zum Sport und damit unser Verhalten bereits in jungen, prägenden Jahren.

Gender-Gap im Sport 

Weltweit betreiben Frauen weniger oft Sport als Männer. Dieser sogenannte Gender Gap im Sport startet bereits im Jugendalter. Doch, so die Ärztin Brunckhorst: «Da Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Männern als auch bei Frauen die Todesursache Nummer 1 darstellen, ist die Prävention durch Sport für alle Geschlechter enorm wichtig. Und es gilt: Für Sport ist es nie zu spät.»

Aktuell empfiehlt die WHO für gesunde Erwachsene zweieinhalb Stunden moderater Sport pro Woche. Ob diese Empfehlungen in Zukunft für die Geschlechter unterschiedlich ausfallen, werden zukünftige Studien zeigen.

Puls, 19.02.2024, 21:05 Uhr

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