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Gesunde Streicheleinheiten Bitte berühren!

Berührungen sind gesund, reduzieren Stress und helfen gegen Depressionen. Aber viele Menschen bekommen zu wenig davon.

Berührungen können übergriffig und verstörend sein, wenn sie unerwünscht sind. Das hat die «Me-too»-Debatte gezeigt. Doch wenn sie erwünscht, vielleicht sogar ersehnt sind, dann können Alltagsberührungen wie Umarmungen, Streicheln oder nur schon ein aufmunterndes Schulterklopfen ganz erstaunliche Effekte auf Körper und Geist haben.

Fürs Berührtwerden ist der Mensch nämlich geradezu geschaffen. Denn wir verfügen über Sinnesnerven in der Haut, die sogenannten c-taktilen Nervenzellen. Sie reagieren speziell auf sachte Berührungen mit dem Druck und dem Tempo, die wir üblicherweise beim Streicheln verwenden. Diese Information melden die Nervenzellen direkt in jene Areale des Gehirns, die bevorzugt Emotionen verarbeiten.

Vereinfacht gesagt, melden diese Nervenzellen direkt ins Gehirn: Das ist schön! Nachgewiesen wurde das in Experimenten mit Streichelrobotern, die hochstandardisiert mit unterschiedlichem Druck und Tempo über die Haut von Probanden strichen.

Massage unter Elektroden

Was danach im Gehirn geschieht, erforscht der Psychologe Martin Grunwald, Leiter des Haptiklabors in Leipzig. Er misst die Hirnaktivität von Probanden, während sie massiert werden.

«Solche Berührungsreize führen zu starken neurophysiologischen Veränderungen», sagt Martin Grunwald. «Das Gehirn befindet sich während und nach einer Massage in einem anderen physiologischen Zustand. Die langsamen Hirnaktivitäten werden dominant.»

Weniger Schnupfen dank Berührung

Das hat Folgen für den ganzen Organismus. Der Körper schüttet bei Berührungen zum Beispiel das sogenannte Kuschelhormon Oxytocin aus, produziert verstärkt körpereigene Opiate und drosselt die Produktion von Stresshormonen wie Cortisol.

Mit positiven Folgen für die Gesundheit: Die Atmung verlangsamt sich, die Muskulatur entspannt sich, und sogar das Immunsystem hat etwas davon. «Die körpereigene Apotheke wird quasi durch solche Berührungsreize aktiviert», sagt Martin Grunwald.

Das belegten andere Forscher in einem weiteren Experiment elegant: Probanden wurden gefragt, wie oft sie in den Tagen davor umarmt worden waren. Dann wurden sie absichtlich mit einem Schnupfenvirus angesteckt. Und siehe da: Jene mit wenigen Umarmungen erkrankten tatsächlich häufiger als jene, die viel berührt worden waren.

Handauflegen auf dem Prüfstein

Auch auf die Psyche haben Berührungen einen positiven Effekt, sagt die Psychologin Jacqueline Frick vom Zentrum für Gerontologie der Universität Zürich: «Man hat gesehen, dass Berührungen Ängste reduzieren und depressive Symptome lindern können.» Und schmerzstillend könnten Berührungen auch wirken.

Konkret untersucht hat Frick nun, ob therapeutisches Handauflegen gegen chronische Schmerzen wirkt. Therapeutisches Handauflegen knüpft an die Tradition des spirituellen Heilrituals an, das Jahrtausende alt ist und in vielen Religionen praktiziert wird. Die Handauflegerin in der Studie von Jacqueline Frick ist eine Theologin.

Was so gar nicht nach moderner Medizin klingt, führt zumindest bei einem Teil der Probanden offenbar zu einem deutlichen Rückgang der Schmerzen. Die Studie ist allerdings klein und hat auch keine Kontrollgruppe, die nicht berührt wurde.

Dennoch findet Jacqueline Frick die Resultate ermutigend: «In der Schmerzbehandlung wird sehr viel mit Medikamenten und invasiven Therapien gearbeitet. Wenn man herausfände, dass ein relativ günstiges Verfahren zusätzlich etwas zum Wohlbefinden beitragen kann, wäre es eine gute Möglichkeit in der Schmerztherapie weiterzukommen.»

Mangel mit Folgen

Berührungen können für unsere Gesundheit also sehr wichtig sein. Doch was, wenn wir nicht genügend Berührungen bekommen? Wie der Körper auf Berührungsmangel reagiert, ist noch kaum erforscht. Gemäss Hinweisen aus Waisenhäusern aus dem letzten Jahrhundert könnte Berührungsmangel bei Kindern zu schweren Entwicklungsstörungen führen. Was es aber für ältere oder kranke Menschen bedeutet, nur selten oder nie berührt zu werden, ist weitgehend unbekannt.

Dennoch ist für Berührungsexperte Martin Grunwald klar: «Jeder Mensch braucht eine bestimmte Dosis an Körperberührung. Wenn er diese nicht bekommt, kann das dazu führen, dass er seelisch erkrankt oder auch körperlich Symptome zeigt.»

«Puls» hat nachgefragt

Doch was ist die richtige Dosis? Und wie viele Menschen leiden unter zu wenig Berührungen? Weil es dazu kaum Daten gibt, fragte das Gesundheitsmagazin «Puls» bei seinen Zuschauerinnen und Zuschauern nach.

Zusammen mit Berührungsexpertin Anik Debrot von der Universität Lausanne hat SRF hat eine kleine, nicht repräsentative Online-Umfrage gestartet, an der über 500 Menschen teilgenommen haben.

Details zur Umfrage

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An der Umfrage teilgenommen haben etwas über 500 Personen (80 Prozent Frauen und 20 Prozent Männer), die allerdings nicht immer alle Fragen beantwortet haben. Das Durchschnittsalter lag bei 40 bis 50 Jahren. Die Stichprobe ist nicht repräsentativ, gibt aber ein erstes ungefähres Bild davon, wie oft Menschen durchschnittlich in einer Woche von verschiedenen Personengruppen berührt werden. Und, ob ihnen das reicht oder nicht. Ausserdem gibt die Umfrage einen Hinweis, ob Berührungen mit dem körperlichen und seelischen Befinden zusammenhängen.

Die Daten hat die Psychologin und Berührungsexpertin Anik Debrot von der Universität Lausanne in Zusammenarbeit mit SRF ausgewertet.

Hinweis zu den letzten zwei Grafiken: Die Anzahl Berührungen durch den Partner oder die Partnerin ist in Wirklichkeit grösser. In den ausgewiesenen Durchschnitt fliessen nämlich auch die Angaben jener Befragten ein, die keine Partnerin oder keinen Partner haben und deshalb «0 Berührungen» angeben. Das lässt sich leider nicht herausrechnen.

Fast die Hälfte der Befragten gab an, mehr berührt werden zu wollen. Nur ganz wenige möchten weniger berührt werden. Und: Mehr als die Hälfte der Befragten findet, dass wir uns in unserer Gesellschaft zu wenig berühren.

Wenn man allerdings etwas genauer nachfragt, zeigen sich klare Präferenzen, von wem die Befragten mehr berührt werden möchten: nämlich in erster Linie von ihrem Partner oder ihrer Partnerin. Von Freunden oder der Familie möchte nur rund ein Viertel häufiger berührt werden. Mit der Häufigkeit der Berührungen von Bekannten oder «Berufsberührern» wie Pflegepersonen, Ärzten, Masseuren und Coiffeuren ist die Mehrheit ganz zufrieden. Von Unbekannten allerdings wünscht sich ein erheblicher Teil sogar weniger Berührungen.

Allerdings zeigt die Forschung: Berührungen tun auch dann gut, wenn sie von Masseuren und Pflegepersonen oder gar ganz Fremden kommen. Selbst das Halten eines leblosen, weichen Objekts hat einen positiven Effekt. Es gibt sogar Studien, die zeigen, dass das Halten eines Teddybären die negativen Effekte von sozialer Isolation reduzieren kann.

Das Vermissen von Berührungen schlägt sich, wie die SRF-Umfrage zeigt, auch im Wohlbefinden nieder. Jene Befragten, die sich mehr Berührungen wünschen, sind weniger zufrieden mit ihrem körperlichen und seelischen Befinden.

Aber nicht nur der Wunsch nach mehr Berührungen hängt mit dem Befinden zusammen, sondern auch die tatsächliche Anzahl: Je öfter berührt, desto zufriedener.

Mit Abstand am meisten innige Berührungen wie Umarmungen, Massagen oder Streicheleinheiten kommen – wenig erstaunlich – vom Partner oder von der Partnerin. Aber auch bei flüchtigen Berührungen dominieren jene des Partners.

Insgesamt erstaunen die eher tiefen Werte. Die Berührungsexpertin Anik Debrot weist jedoch darauf hin, dass solche Umfragen immer mit demselben Problem zu kämpfen haben: Es ist unklar, was überhaupt als eine Berührung zählt. Zählt zweimal über den Arm streicheln bereits als zwei Berührungen oder eine Stunde Arm in Arm spazieren nur als eine? Diese Unschärfe macht die Interpretation solcher Zahlen schwierig. Immerhin geben die Resultate aber eine erste Tendenz an in einem sonst noch weitgehend unerforschten Feld.

Zusammenfassend zeigt die Online-Umfrage, dass Berührungen durchaus vermisst werden. In Anbetracht der vielen gesundheitlichen Vorteile findet Berührungsforscher Martin Grunwald: «Körperberührungen sind ein Leben lang wichtig, und wir sollten darauf Acht geben, dass wir immer ein gewisses Mass an Körperkontakt in unserem Leben einbauen, und uns auch die Zeit dafür nehmen.»

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