Einen Kamille-Pfefferminz-Ingwer-Tee gegen Übelkeit und Verdauungsprobleme, eine Salbeitinktur zur Linderung exzessiven Schwitzens, oder Ringelblumensalbe zur Narbenpflege – in der Natur ist gegen jedes Leiden ein Kraut gewachsen. Das wussten schon unserer Vorfahren. Die Heilkräuterkunde ist wohl so alt wie die Menschheit selbst.
Von den Anfängen bis zur Gegenwart
Erste Belege der traditionellen europäischen Medizin finden sich bereits im 5. Jahrhundert vor Christus. Hippokrates, der oft als Vater der Medizin bezeichnet wird, widmete sich in seinen medizinischen Schriften dem Studium der Pflanzen und ihrer medizinischen Wirkkraft. Auch beim römischen Arzt Galenus, dem Begründer der Viersäfte-Lehre, finden sich an vielen Stellen Anwendungshinweise für Heilkräuter.
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«De materia medica» von Dioskurides beschreibt über 600 Arzneipflanzen. Das im ersten Jahrhundert nach Christus verfasste Werk des griechischen Gelehrten war Grundlage und wichtigste Quelle für die mittelalterlichen Heilkundigen. Im Mittelalter befassten sich die Kleriker eingehend mit dem überlieferten Wissen und reicherten den Wissensbestand um Wirkung und Rezepturen von Pflanzen an.
Mit dem Buchdruck blieb das Heilkräuterwissen nicht mehr nur den Gutbetuchten vorbehalten. Die Anfänge der Volksmedizin nahmen ihren Lauf. Bis heute sind Pflanzenheilkundige wie Paracelsus, Sebastian Kneipp, Kräuterpfarrer Künzle oder Alfred Vogel vielen Menschen vertraut, und ihre Pflanzenmedizin erfreut sich einer grossen Beliebtheit.
Keine Überraschung für Matthias Rostock, den Leiter der Phytotherapie des Instituts für Komplementärmedizin der Universität Zürich: «Vieles aus den alten Überlieferungen betreffend der Wirkung von Heilpflanzen konnte durch die moderne Naturwissenschaft bestätigt werden.»
Von der Intuition zur Gewissheit
Die Heiler, Medizinmänner und Frauen verliessen sich auf ihre Erfahrung und behandelten intuitiv – weshalb auch viel Quacksalberei betrieben wurde. Für die zeitgenössische Phytotherapie wird aber in Labors an Pflanzenwirkstoffen geforscht. Weltweit sind unzählige Studien gemacht worden, welche die Wirkkraft der Pflanzen prüften. Täglich kommen neue Erkenntnisse hinzu. Bis heute sind über 10'000 Heilpflanzen naturwissenschaftlich unter die Lupe genommen worden.
Das Vielstoffgemisch wirkt
Pflanzliche Arzneimittel (Phytotherapeutika) sind sehr vielfältiger Natur. Die Arzneipflanze liefert die sogenannte Droge, zum Beispiel die Wurzel, die Blätter oder die Blüten der Pflanze. Die Droge wird durch eine Extraktion, Destillation, Konzentrierung oder Fermentierung verarbeitet. Die Tinktur wird beispielsweise durch eine wässrig-alkoholische Extraktion zubereitet, der Tee durch eine wässrige Extraktion.
Die moderne Forschung konnte feststellen, dass bei der Phytotherapie einzelne Substanzen der Pflanze, denen man eine bestimmte Wirkung zuschreibt, nicht isoliert wirken. Es ist das Zusammenspiel des Vielstoffgemischs der Heilpflanzen, das seine Wirkkraft hervorbringt.
Beispiel Johanniskraut
Rezepte
Eine wissenschaftlich intensiv erforschte Heilpflanze ist das Johanniskrautgewächs (Hypericum perforatum). Es beinhaltet über 150 unterschiedliche Komponenten. Vergleichsstudien mit Placebos und anderen Antidepressiva zeigten, dass das Johanniskraut-Extrakt bei mittelschweren Depressionen eine bedeutsame antidepressive Wirkung hat.
Das Extrakt war Placebobehandlungen überlegen und mit anderen Antidepressiva vergleichbar. Ebenso konnte die Wirksamkeit gegen Angststörungen und prämenstruelle Beschwerden aufgezeigt werden. Das Johanniskraut gilt deshalb als Nervenkraut Nummer 1.
Volksmedizin oder der eigene Kräutergarten
In der Pflanzenheilkunde spielt auch die Eigentherapie und Herstellung eine grosse Rolle. «Die Menschen haben ein grosses Bedürfnis nach alternativen, pflanzlichen Therapiemöglichkeiten», so Matthias Rostock.
Phytotherapeutika-Firmen müssen unzählige Labortests durchführen, damit ihre Produkte den Richtlinien der europäischen Pharmakopöe genügen. Erst dann werden die Arzneimittel, die für uns in den Apotheken zum Verkauf angeboten werden, freigegeben. Deshalb gilt: Wer zuhause selber Tinkturen, Salben etc. herstellt, sollte sich an die Rezepte aus Heilkräuterbüchern halten. Die selbstgemachte Kräutermedizin ist nur zum Eigengebrauch bestimmt und darf nicht verkauft werden. Denn wer in der eigenen Kräuterküche braut, sollte sich vergewissern, dass die Heilpflanzen aus einem schadstofffreien Boden stammen und nicht mit Pestiziden verseucht sind.
Von der heimischen Verarbeitung giftiger Heilpflanzen wie Tollkirsche, Fingerhut oder Efeu raten Experten ab. Denn heute weiss man mit Gewissheit: Heilpflanzen wirken. Auch und besonders die giftigen.