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Gutes Amalgam, böses Amalgam

Jeder kennt sie - fast jeder hat sie: Zahnfüllungen. Wer ein Loch hat, lässt es heute meist mit Kunststoff flicken. Bei grösseren Defekten kommt Keramik zum Einsatz. Die silbrigen Amalgam-Füllungen aber, die will heute keiner mehr. Dabei wären sie in einigen Fällen noch immer die beste Lösung.

Die allerersten Rezepte für Amalgam finden sich im Mittelalter. Damals war ein Loch im Zahn noch eine besonders schmerzhafte Angelegenheit – meist kam der Zahnzieher zum Einsatz. Doch schon im 16. Jahrhundert gab es erste Zahnfüllungen aus Metallgemischen. Prinzessin Anna Ursula von Braunschweig erhielt Ende des damaligen Jahrhunderts die erste in Deutschland geschichtlich dokumentierte Zahnfüllung.

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Anfangs des 19. Jahrhunderts hatte sich Amalgam dann als Füllmaterial etabliert. Doch schon bald geriet es in Verruf: 1833 kam es in den USA zum so genannten «Amalgamkrieg». Vor allem aus monetären Gründen wehrten sich die Zahnärzte gegen den billigen Füllstoff, doch wurden damals auch schon erste Bedenken wegen des darin enthaltenen Quecksilbers laut. Die NZZ publizierte erstmals 1848 eine «Beachtenswerte Warnung» und verwies auf einen Zahnarzt, der dem Amalgam gesundheitsschädigende Folgen nachsagte. All dies führte schlussendlich dazu, dass Amalgam-Füllungen von 1840 bis 1855 verboten waren.

Der Amalgamstreit

Nach der Wiederzulassung im Jahr 1855 trat das Material dann aber endgültig seinen Siegeszug an. Damit begann auch ein schier endloser Disput um den Füllstoff. Denn Amalgam ist eine Metall-Legierung aus Silber, Zinn, Kupfer, Zink und 50 Prozent Quecksilber. Und dieses Quecksilber ist schuld an einem erneuten Amalgamstreit, der 1926 begann. Zwei Jahre später veröffentlichte die NZZ beispielsweise den Artikel «Der Kampf um die Amalgamplombe». Ihren Höhepunkt hatte die Kontroverse in den 1980er und 90er Jahren. Schlagzeilen wie «Amalgamhölle», «Gift im Mund», «Gefährliche Füllungen» dominierten die Presselandschaft.

Studie für Studie ging der Streit in immer neue Runden. Amalgam-Kritiker glauben, dass die Füllungen gar einen Zusammenhang mit Alzheimer haben. Amalgam-Befürworter berufen sich auf Studien, die belegen, dass die Füllungen absolut unbedenklich sind. Beide Seiten halten heute noch unverändert an ihren Positionen fest.

Die WHO gibt Entwarnung

Dass Quecksilberdämpfe in zu hoher Konzentration schwere Nerven- und Nierenschäden verursachen, ist unbestritten. Ebenfalls unbestritten ist, dass Amalgam-Füllungen Spuren von Quecksilber im Körper freisetzen. Die weltweit gängige, schulmedizinische Lehrmeinung lautet heute: Entwarnung bei Amalgam. Was wir über den «Abrieb», also durchs Kauen auf den Füllungen, an Quecksilber zu uns nehmen, verschlucken wir und scheiden über 90 Prozent davon unverändert wieder aus. Und die Menge der Quecksilberdämpfe, welche wir über Füllungen einatmen, sind so gering, dass sie weit unter den Grenzwerten liegen und daher unbedenklich sind.

Das ist nicht nur die heute gültige Lehrmeinung an den Universitäten, sondern auch von der WHO so festgehalten. Und auch die EU-Richtlinien stützen sich auf Gutachten, die entwarnen. Um jegliches Risiko auszuschliessen, wird aber Schwangeren und Kindern von Amalgamfüllungen abgeraten.

Unbedenklich, aber unbeliebt

Die Lehrmeinung spiegelt sich im Ländervergleich unterschiedlich stark wieder: Während die skandinavischen Länder das Amalgam verboten haben, ist es in den USA und in Grossbritannien im Seitenzahnbereich noch immer Standard. In Deutschland übernimmt die Krankenkasse sogar nur die Kosten von Amalgam-Füllungen – wer eine Alternative wählt, muss für die Mehrkosten selber aufkommen. Trotzdem ist die Zahl der Füllungen bei unseren Nachbarn ähnlich rückläufig wie hierzulande. Die jahrzehntelange Kontroverse hat dazu geführt, dass heute in der Schweiz kaum mehr jemand Amalgam-Füllungen will, und dass es in der Schweiz nur noch wenige Zahnärzte gibt, die regelmässig Amalgam-Füllungen machen.

Auch wenn in einigen Fällen Amalgam noch immer die beste Lösung wäre, weil es extrem langlebig und druckresistent ist, zeichnet sich ein klarer Trend ab: Das Zeitalter der ästhetischen Zahnmedizin ist angebrochen – und da sind silbrige Füllungen einfach nicht mehr gefragt.

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